Die Alten sind das Problem

Mein letzter Opernbesuch: Traditionelles, renommiertes Opernhaus. Ich. Alleine. Teuerste Preiskategorie. (Suche übrigens noch nach einem Opern-Sugar-Daddy*…) Und völlig begeistert. Mein Sitznachbar nicht so. Auf mein “Guten Abend” hin: der erste Todesblick.

Ich: Handy raus und Operntitel googlen (zehn Minuten vor Vorstellungsbeginn). Der charmante, graue Herr im Anzug neben mir: “Jetzt sucht sie das auch noch im Internet. Aha.” Anschließend entschlüpfte seinem schnauzbärtigen Mund eine Reihe Kommentare über mein Auftreten, immer schön halblaut zu seiner Frau, als wäre ich taub auf einem Ohr. Tasche zu bunt und auch noch aus Stoff! Und dieser Schal! VIEL ZU WARM! – Falls Sie das lesen: herzlichen Dank für Ihre Sorge, ich hatte Nackenschmerzen. Wärme ist da meist hilfreich. Und meine Tasche sehen Sie im Dunklen doch eh nicht. Vielleicht sollten Sie das nächste Mal die ganze Reihe kaufen, dann stört sicher kein Mensch Ihr geschmackvolles Blickfeld.–Zum Glück bin ich ein hartnäckiges (Mist)Stück. Man vermiest mir nicht so schnell einen schönen Abend.

Selbst dann nicht, wenn man versucht zu demonstrieren, dass ich im Club der schwarzen Kreditkarten nichts verloren habe. Dieses Spektakel erlebte ich nicht zum ersten Mal. Und ich möchte behaupten, dass ich durchaus gesellschaftstauglich unterwegs bin. Ich klatsche auch nicht zwischen Sätzen und rufe “Brava!”. Wirklich.

Schön, dass Opern- und Konzerthäuser sich mit Rabatten und Aktionen um junges Publikum bemühen. Aber was hilft das schon, wenn sich “Generation Silbersee” schlimmer verhält als der Eignungscheck bei Elitepartner.de? Kein Wunder also, dass sich in meinem erweiterten Bekanntenkreis hartnäckig der Irrglaube hält: Oper ist zu schick und spießig für mich. Klick um zu Tweeten Das Publikum selbst arbeitet fleißig mit.
Der natürliche Lebensraum des jungen Opernbesuchers soll wohl eher die niedrigeren Preiskategorien sein. Da der gemeine Silbersee-Gast seinen Blick dauerhaft nach vorne zur Bühne richtet (steiffer Nacken?), kann ich natürlich verstehen, dass es zu plötzlichen Berührungsängsten kommt, sollte sich ein Mitglied der Spezies U30 ohne Eltern in das eigene Revier verirren. Absurd allerdings, dass viele der Darsteller, Musiker und auch Hinter-den-Kulissen-Menschen nicht “alt” sind. Zum Entertainer reicht es für uns also. Das ist ja großzügig.
Denkt doch mal drüber nach: Nur weil euer Ticket teurer war, beinhaltet es keinerlei Narrenfreiheit. Klick um zu Tweeten Freut euch doch einfach, dass Generation Online auch ganz in echt in Veranstaltungen anzutreffen ist!

Liebe Kultureinrichtungen:

Vielleicht ist dies des grauen Pudels Kern. Erzieht euer Publikum! Ich plädiere für den Satz auf Tickets: “Liebes Publikum, wenn Sie sich (wie wir) wünschen, dass unsere kulturellen Angebote langfristig erfolgreich weiter bestehen, bitten wir Sie, von Sabotage unserer Mühen um das junge Publikum abzusehen. Make love not war.


*alle, die sich an dieser Stelle angesprochen fühlen, erreichen mich unter
dickpic@ musik-mitallemundvielscharf.de

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9 Antworten

  1. kunstfeler sagt:

    Keine Oper, aber immer noch mein Lieblingsphänomen: Geht man in Dresden in einer Veranstaltung mit etabliertem Publikum (zum Beispiel zu Philharmonie samt Kreuzchor, eine Kombination voller Traditionsbewusstsein), hat man das alles in einem einzelnen Phänomen, quasi in a nutshell: Sobald auch nur ein Mensch an der falschen Stelle klatscht, sind die Zischlaute seiner Kritiker sofort zur Stelle. Manche gehen vermutlich nur ins Konzert, um dort zu zischen. Funfact: Die Zischlaute sind meist störender und langanhaltender als die drei Klatscher.

  2. Laura sagt:

    Ich steige gerne und immer wieder ein! 🙂 Sicher, ich provoziere etwas plump. Aber ein bisschen Spaß muss sein, da das Thema unpolitisch ist, und man ja gerne den Text bis zum Ende lesen darf! Meine Wunsch ist auch absolut, einfach nett zu einander zu sein und sich unkompliziert zu verhalten. Oper und Theater soll für alle sein. Auch in Zukunft. Das geht aber auch nur, wenn alle mitmachen (jetzt!) und vielleicht auch nicht immer alle Klischees erfüllen müssen… Warum sollte man das Erlebnis nicht auch anderen gönnen – in Ruhe?!
    Schöne Grüße!

  3. …Bisserl übersensibel? Wie oft ist Dir sowas passiert? Deppen gibt’s überall, gerade auch auf teuren Opernplätzen. Rate zum Zweiten Rang, zu weniger Pauschalurteilen, zur Vorsicht vor Sugardaddys – und zum Kauf eines Dudens… (leichte Legasthenie???)

    • Laura sagt:

      Lieber Herr Geissler,
      mir ist das schon ziemlich oft passiert und gerade erreichen uns so einige Zuschriften von Menschen, die das Phänomen kennen. Und ich bin wirklich kein Sensibelchen, aber Geschichten wie diese nerven mich massiv (auch wenn ich darauf immer mit konsequenter Freundlichkeit reagiere). Garantiert lasse ich mir durch diese Damen und Herren nicht meinen Sitzplatz vorschreiben! Soweit kommt es noch! HA!
      Der Titel ist provozierend, das ist mir klar. Der Text soll einladen, mal eine Runde zu reflektieren – funktioniert bisher ganz gut, in allen Richtungen;-). Natürlich polarisiert das Thema in dieser Form. No risk, no fun. Ich freue mich auch über Sugar-Daddys, die mir einen Duden schicken. Bisher hat mir (und der korrekturlesenden Redaktion) ja noch niemand Legasthenie diagnostiziert ;-).

      Fühle mich von Ihren „Beleidigungen“ geehrt und Grüße Sie schön!

      • …war alles eher freundlich gemeint. Glaube aber, dass es etwas oberflächlich ist, an solcher Erfahrung einen Generationenkonflikt festzumachen. Steckt dahinter Deine Renten-Verlust-Angst???

        • Torsten Irion sagt:

          wer im Glashaus sitzt, sollte selber Duden kaufen. Obwohl: kaufen alleine reicht natürlich nicht.

          Ich fand den Artikel sehr erheiternd, na klar provokant und natürlich ist die beschriebene Frontlinie „ich bin was Besseres als du und lass dich das spüren“ vs. „ich bin hier, um zu genießen und gemeinsam Freude zu haben“. Allerdings würde ich das schon zu 80% mit dem Alter korreliert sehen. Mindestens.

          (/me: gut 50, die wenigen noch vorhandenen Haare sind grau und ich klatsche sicherlich häufiger, als der traditionelle Konzert- oder Opernbesucher.)

  4. Huflaikhan sagt:

    Das gibbs bei Neue Musik auch. Neulich eine Silberlocke einen auswärtigen Zuhörer auf auswärtsch darauf hingewiesen, es sei nicht üblich, eine Bierflasche mit in den Konzertraum zu nehmen – und auch keinen Wein. Der Gast setzte sich dann – bei freier Platzwahl – irgendwo anders, entfernt hin. Da hat jemand einen Erzögling gefunden und mir war klar, das Konzert hier wird kein Spaß sondern es geht um Tod oder Leben.

  5. Albrecht sagt:

    Ach, noch was: Den Artikel finde ich gut und richtig, aber die Überschrift ist mir zu pauschal. Schon klar, dass es nur ein Teaser sein soll, trotzdem zu konfrontativ. Gerade in diesen Zeiten… *Zeigefinger*

  6. Albrecht sagt:

    Ja, manche betagte Abonnenten beißen leider zu getreu dem Motto: Nach mir die Sintflut. Soll die „Hochkultur“ mit mir untergehen, Hauptsache keine Jungen da, die vielleicht sogar was falsch machen.
    Es hängt auch stark von den Spielorten ab. Im Berliner Konzerthaus ist es z.B. viel schlimmer als in der Philharmonie.
    Am Ende sind es aber auch immer nur einzelne Miesepeter. Man sollte die Mehrheit der anderen älteren Herrschaften ermuntern, einladend und freundlich zu sein. Und an die Jungen: Hey, in der Straßenbahn wird man auch angeraunzt, steigt man deshalb nicht mehr ein?

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