Exzellent um jeden Preis – Leserbrief aus Berlin

Liebe Leser,

als Reaktion auf meinen Artikel „Hauptfach Tunnelblick, Nebenfach Arschgeige“ entstand auf Twitter eine rege Diskussion über dieses Thema. Anschließend erhielt ich doch tatsächlich einen waschechten E-Leserbrief (Juhuuu! Ich liebe Briefe, wenn es denn keine Rechnungen sind – also gerne mehr davon!). Die Autorin des Kommentars, Susanne Westenfelder, studiert an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin und betreut dort den Twitter-Account des Studierendenparlamentes. Susanne hat sich so einige ergänzende Gedanken gemacht. Natürlich möchte ich euch ihre Worte nicht vorenthalten! Liebe Grüße, Laura.

Ihr Kommentar zum Thema „Hauptfach Tunnelblick“:

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»Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch davon nichts.« Klick um zu Tweeten

SusanneDieser Satz wird Hanns Eisler zugeschrieben. Ein kluger Satz, der sicher von vielen Hochschulen nickend zur Kenntnis genommen wird. Ein politisch konsequentes, den Idealen dieser Aussage folgendes Handeln, habe ich in den vergangenen vier Jahren meines Musikstudiums jedoch oft vergeblich suchen müssen.

„Sie spielen sehr musikalisch. Ihr Ton gefällt mir wirklich gut. Aber die Finger müssen schneller werden. Und die Bogentechnik…“ – wurde mir von verschiedenen ProfessorInnen gesagt, als ich während meiner Oberstufenzeit auf Hochschulsuche war. „Wie viel üben Sie denn?“ Ich übte damals ca. 2 Stunden pro Tag. Das reichte nicht. Dazu kamen noch die Schule, der Hornunterricht, der Malunterricht, der Chor, der Klavierunterricht, die Orchester- und Kammermusikprojekte, und und und…

Das Geigenstudium fiel also ins Wasser. Stattdessen begann ich ein Studium mit den Hauptfächern Musiktheaterregie und Tonsatz an einer deutschen Musikhochschule. Ich fing an, mich in der Hochschulpolitik zu engagieren, hatte nach einiger Zeit gute Kontakte zu Lehrenden und Leitung und hätte von außen betrachtet mit Sicherheit den Eindruck erwecktgehabt, da habe es jemand geschafft, sich erfolgreich in dieser Institution zu etablieren.

Oft jedoch begegnet mir die Forderung, mich zu entscheiden, mich zu spezialisieren. Das Wort „Exzellenz“ hat eine Aura, die nach Zuschüssen duftet Klick um zu Tweeten

Es ist im Akademischen Senat omnipräsent und wird gezielt eingefordert, wogegen das Wort „Vielseitigkeit“ schnell einen despektierlichen Unterton bekommt. Man mag „Vielseitigkeit“ tatsächlich fast so wenig wie „Schulmusik“.

Mir wird gesagt: „Sie müssen sich entscheiden. Wir können Ihnen mit der Studienordnung nicht entgegenkommen, da die Studiengänge auf Ausschließlichkeit hin konzipiert sind. Man kann nicht zwei Hauptfächer parallel studieren.“ Das wiederum gibt mir das Gefühl, nichts „richtig“ zu können.

Jeder Lehrer freut sich über wache, interessierte StudentInnen, doch mit einer Vielseitigkeit, die auf Grund zweier verschiedener Hauptfächer sogar auf dem Papier existiert, geht man nur höchst unbeholfen und mit Befremden um. Warum?

Weil es nicht viele Studierende gibt, die eine Routine im Umgang mit breit gefächert interessierten Menschen für den Lehrkörper lernbar machen. Man führt gern Gespräche mit mir über meine Streichervergangenheit. Aber Unterricht? Dazu fehlt der Hochschule das Geld und dem Professor die Muße, StudentInnen, deren technischer Stand sie nicht für ein Hauptfachstudium qualifiziert, zu unterrichten.

Viele unserer StudentInnen studieren als Hauptfach ein Streichinstrument oder Klavier. Dies sind die Bereiche, in denen meiner Meinung nach das Musikstudium besonders einseitig ausgelegt wird.

Gerade in diesen Fächern steigt das Niveau seit einigen Jahren rapide an. Auch die Anmeldezahlen bei den Aufnahmeprüfungen werden langsam unübersichtlich. Dazu kommt, dass man sich oft gegen MitbewerberInnen durchsetzen muss, die bereits an einem anderen Ort in den Genuss einer Spitzenausbildung gekommen sind – längst hört man Brahms’ Violinkonzert nicht mehr nur bei Probespielen für Orchesterstellen.

Die annähernde technische Perfektion qualifiziert zum Studium. Wer diese Qualifikation mitbringen will, hat sich früh relativ ausschließlich auf das Instrument fokussieren, Scheuklappen anbringen müssen. Im Studium müssen so weiterhin viele Opfer gebracht werden: Wer gut genug sein will, teilt die zur Verfügung stehenden 24 Stunden irgendwie in Üben, Essen, und Schlafen ein. Der Preis für die so entstehende „Exzellenz“ ist leicht ersichtlich:

Die Theorie- und Analyse-Abteilung ist ratlos über die fehlende Beteiligung am Unterricht. Durch die Prüfung schafft man es dennoch – den beobachtenden HauptfachprofessorInnen sei Dank. Schließlich brilliert StudentIn XY auf dem Klavier und lässt so große Pläne zu. Ratloser als die Theorieabteilung sind nur die Menschen, die in diesen StudentInnen Künstler mit Tiefgang, Esprit und Allgemeinbildung suchen, mit denen sich interessante Gespräche führen lassen. – Die enorme Übezeit unterbindet bei vielen StudentInnen schlicht die Möglichkeit, sich als kommunizierende Menschen auszuprobieren oder die deutsche Sprache besser zu erlernen.

Ausnahmen bestätigen die Regel: Ein Freund scheint momentan ein Abo auf alle wichtigen Wettbewerbssiege zu haben. Selten hab ich ein Mozart-Konzert so rasant, frech, leicht, risikofreudig und berührend gehört wie von ihm. Doch die Rechnung, „Übezeit“ proportional zu „Gutem Spiel“ zu setzen, scheint nicht aufzugehen: Er unterbietet erfolgreich viele Mitstudenten in Puncto „Zeit in der Übezelle“, überbietet sie jedoch ebenso erfolgreich mit Anekdoten über seine erlebten Samstag-Abende. Ich bin überzeugt: Sein Mozart wäre nur halb so spritzig, hätte er sämtliche besagten Samstag-Abende durchgeübt.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich beim Blick auf Studiengänge wie Komposition oder Musiktheaterregie.

Für diese Fächer gibt es weniger Studienplätze und auch die bei Zahlen der Bewerbungen sind deutlich überschaubarer. Der Kriterienkatalog ist in diesen Studiengängen deutlich vielfältiger: Können wir mit dem Studenten sprechen? Ist die Studentin neugierig, hat Lust über ihren Tellerrand zu blicken und ihr noch fremde Dinge zu lernen?

Es wird bei der Aufnahmeprüfung nicht nach der technisch perfekten Komponistin oder dem technisch perfekten Regisseur gesucht. Auch die Ausbildung in diesen und ähnlichen Fächern ist deutlich mehr auf Vielseitigkeit und souveränes Reflektieren über das eigene Wirken im Feld von „Kunst“, „Individuum“ und „Gesellschaft“ angelegt.

Die Bologna-Reform hat getan, was sie konnte, den Zustand der einseitigen Ausbildung in eine noch größere Schieflage zu bringen: Weniger Zeit, gestrichene Fächer wie der absolut sinnvolle Gesangsunterricht für Opernregisseure, weniger Freiraum für Wahlangebote, Praktika, Tätigkeiten an Studiobühnen etc.

Ein zusätzliches Problem ist, dass ein Bachelor ohne Master einen heute oft nicht weit bringt. Die Studierenden, die von der Reform hätten profitieren könnten, sind KünstlerInnen, die nach geringer Studienzeit eine feste Stelle angeboten bekommen, diese in der Regel auch annehmen und so in der Statistik als „Studienabbrecher“ auftauchen. Der Rest schließt also brav den Master an den bestandenen Bachelor an – wenn man ihn lässt, da eine erneute Aufnahmeprüfung verpflichtend ist. Unterm Strich bleibt also wenig Zeitersparnis, mehr Stress und ein hektisches Abarbeiten der Studienordnung.

Macht man die Augen auf, sieht man, dass es durchaus eine Gruppe von Menschen gibt, die versteht, dass die Begriffe „Exzellenz“ und „Künstlerpersönlichkeit“ in ihrer momentanen Handhabung in keinem Fall als deckungsgleich gesehen werden können.

Eine Professorin unserer Hochschule bemüht sich sehr, dieses Problem anzugehen. Sie ist studierte Flötistin und unterrichtet Musikvermittlung und Selfmanagement. Sie fordert ihre StudentInnen gezielt zu Projekten jenseits der etablierten Betriebe auf und regt eine reflektierte und selbstständige Auseinandersetzung mit den betreffenden Themen an.

Ein anderen Professor gibt ein Seminar, welches für die Studierenden in den Fächern Dirigieren, Komposition, Tonsatz, Korrepetition und Musiktheaterregie zum Pflichtbereich gehört: Jedes Semester erzählt er vielschichtig und eloquent über ein Thema, dessen Bezug zur Musik gelegentlich erst auf den zweiten Blick ersichtlich ist: Perspektive, Kooperatives Arbeiten, Erzählstrukturen, etc. Die StudentInnen werden angehalten, eigene Vorträge zu halten und die Themen kontrovers zu diskutieren. Die Rechnung geht auf und alle sind sich über den Mehrwert einig, dennoch wird die Kürzung dieses Unterrichts für bestimmte Fächer immer wieder diskutiert.

Diesen Lichtblicken zum Trotz bleiben folgende Fragen bestehen:

  • Wollen wir Übepersönlichkeiten oder Künstlerpersönlichkeiten ausbilden?
  • Sollte man um der Exzellenz Willen, statt den Unterricht in den Nebenfächern zu hinterfragen, ihn nicht lieber gezielt stärken?
  • Ist es an der Zeit, zu überprüfen, ob wir den Exzellenz-Begriff nicht drastisch beschneiden, indem wir ihn auf ein rein technisches „Höher, schneller, weiter“ reduzieren?

Romantische Ideale im Bereich der Kunstphilosophie werden heutzutage skeptisch beäugt. Ich muss nicht mehr kreuzunglücklich sein oder gar meine Seele verkaufen, um anständig Musik machen zu können. Psychologisieren ist out. Dennoch wird das romantisch verklärte „Universalgenie“ heute gern als „Vielseitigkeits-Patient“ verarztet: Weg von der Breite, hin zur Spitze. Nicht zuletzt des Geldes, der Zuschüsse wegen. Dass momentan etwas Entscheidendes in der Ausbildung vieler junger Künstler auf der Strecke bleibt, vergisst man vielleicht, wenn man sich mit dem schnellsten Hummelflug aller Zeiten im Guinnessbuch der Rekorde wiederfindet.

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