Gastbeitrag: Reproduktion statt (R)evolution – Teil 2

Eine Ode an den Gott des Copy&Paste:

In unsere große und traditionsreiche Reihe von Zusendungen gesellt sich jetzt ein zweiter Gastbeitrag. Selbstkritisch, wie wir vorgeben zu sein, und als Vorreiter in Diskriminierungsfragen (#frauenquote #unnerum) stellten wir beim „Lesen“ unserer eigenen Texte fest, dass klassische Musik bei uns bisher zu gut weg kommt.

Wir sind für Gleichberechtigung und fordern daher frei nach Serdar Somuncu auch für die Klassik:

„Jede Minderheit hat ein Recht darauf, diskriminiert zu werden.“

Wir haben dafür Mathias Rehfeldt als Null-Euro-Jobber angestellt. Mathias studierte Komposition für Film und Medien sowie Kirchenmusik. Er betreibt eine Künstleragentur und ein Label in München. Er gibt Improvisationskonzerte zu Stummfilmen in Deutschland, Kanada und in den US and A. Offensichtlich schreibt er neben Konzert- und Filmmusik auch Texte. Teil 2, Take 17, uuuuund action! Teil 1 gibt’s hier.

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Wer hat Schuld?

Ist das die Schuld des Publikums oder der Veranstalter?

Ist das Publikum vielleicht zu dumm, um Neues zu schätzen? Klick um zu Tweeten

Wünscht es sich Mozart so lange um die Ohren gehauen zu bekommen, dass ein eifriger Konzertgänger danach lustig in der U-Bahn die Bratschenstimmen auswendig vor sich hinpfeifen kann?

Fragen muss man sich auch: Welches Publikum wird denn von klassischen Konzerten angezogen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 gibt Aufschluss darüber. Zwar steigt der Gesamtanteil der Besucher, dies jedoch überproportional stark in der Generation 65+. Bei den unter 25-Jährigen sinkt laut dieser Studie sogar der Anteil an Konzertgängern.

Erwartet dieses in die Jahre gekommene Publikum, dass man eine heile Welt für anderthalb Stunden vorgegaukelt bekommt? Gefahrlos, da die Entstehungszeit lange vorbei ist und damit der Kontext und die Botschaft eher Museumscharakter hat? Also eine Art Bildungsmusikantenstadl?

Die Veranstalter wiederum geben dem Publikum – ähnlich einem pummeligen Kind, das die ganze Zeit mit Schokolade beworfen wird – offensichtlich permanent genau das, was es will.

Sie stellen sich damit auf die gleiche Treppenstufe wie diverse Castingshowbetreiber, die mit peinlichen Popsongs jahrelang armen bezahnspangten Teenies das Geld aus der Tasche gezogen haben.

Wirkliche Kunst wird so kaum gefördert. Eher ein Musikantentum mit Kulturverpackung. Ein Feuer für die Sache ist seitens vieler Veranstalter somit für mich nur schwer nachspürbar. Eher Kalkül und Berechnung. Der Wille, einer Masse zu gefallen und nirgends anzuecken.

Dabei gibt es sie: Unzählige neue Kompositionen im Zeitgeist. Neue Klänge, unendlich viel Neues zu entdecken und sich damit anzufreunden oder entschlossen abzulehnen. Ich meine damit nicht das doch recht begrenzte Spektrum eines “Musica Viva”-Konzertes, bei dem “schön” Klingendes aus einer generellen Panik vor romantischen Gefühlen ausgesperrt wird.

Ich meine Künstler wie beispielsweise Giya Kancheli, ein beeindruckender Komponist mit einem breiten symphonischen Spektrum, der hierzulande von den Konzerthäuser weitgehend ignoriert wird.

Auch Steve Reich,  mit seiner fantastischen und fantasievollen Minimalmusik, wird allenfalls einmal als kurioses Sonderwerk gespielt. Stattdessen wiederholt man in der 100. Saison die alten Schinken.

https://www.youtube.com/watch?v=zLckHHc25ww

An dieser Stelle ist allerdings anzumerken, dass die Berliner Symphoniker hier gerade einen schönen Vorstoß machen. Im September/Oktober ‘15 etwa stand zahlreiches Neues (aber auch älter als 20 Jahre) auf dem Programm.

 

Und die Musiker?

Wie sieht es eigentlich mit den Musikern selbst aus? Klar gab es immer Unterhaltungsmusiker (oder Musikanten). Aber ist das der Traum, wenn man sich zu einem Instrumentalstudium durchringt? Der Traum, ein Zeitvertreib für besser Betuchte zu werden?

Assi-TV-Berieselung für Intellektuelle? Klick um zu Tweeten

Möchte man nicht eher den Zuhörern etwas mit auf den Weg geben, ihnen etwas Bleibendes vermitteln? Zum Nachdenken anregen oder sie an der Hand nehmen und eine unbekannte wundervolle oder auch schreckliche Welt eröffnen. Nun hat es natürlich seine Berechtigung, Altes aufzuführen, zu interpretieren etc. Aber warum fast ausschließlich?

An dieser Stelle sei zu vermerken, dass es sie natürlich sehr wohl gibt: Experimentierfreudige Musiker aus dem klassischen Bereich.

Oftmals mit fragwürdigem Ergebnis, aber genau darum geht es ja. Raus aus der Sicherheit, raus aus der Gewohnheit und los geht es, Grenzen auszutesten. Spaß haben an Neuem. Offen sein und somit den eigenen Horizont erweitern. Sprich: eine lebendige Musikkultur mit ihren Macken und Stärken am Leben erhalten. Allerdings bleiben eben diese Musiker eher Exoten des Fachs.

 

Wo ist die Spannung geblieben, die es ausmacht, Neues auszuprobieren?

Ja, wo ist sie denn? Das, was es ausmacht, eben nicht zu wissen: „Ja, der Beethoven, der läuft. Der lief immer“. Musik ist schließlich nicht wie ein guter Wein, der erst nach jahrelanger Reife seinen guten Geschmack entwickelt. Mut zu Neuem ist jetzt gefragt. Das Bewusstsein des Zeitgeistes stärken und erkunden. Entwicklung statt Stillstand!
Wir sind auf dem besten Weg, uns als klassische Musiker/Veranstalter von der Kunst zu verabschieden und uns in gähnende Edelnutten der Unterhaltungsindustrie zu verwandeln. Mit gehöriger Routine, wenig bleibenden Eindrücken und gerade gut genug, um dem Publikum ein bis zwei Stunden auf angenehme Weise die Zeit zu vertreiben.

Eine Reproduktion anstatt einer (R)evolution.

AufDieBarrikaden

Philipp Krechlak

Intelligent, charmant, gut aussehend, sportlich, aber vor allem eins: bescheiden. Exilschwabe, zunächst im Saarland, jetzt in der (Kur)pfalz. War naiv genug zu glauben, dass mit dem Ende des Studiums (Wirtschaftsmathe in UL, Musikmanagement in SB) und dem Arbeitsalltag (Orchestermanagement in LU, jetzt MA) der Ernst des Lebens beginnt.

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Eine Antwort

  1. kunstfeler sagt:

    Ich könnte jetzt genau das Gleiche schreiben, was ich unter den anderen Beitrag auch schon geschrieben habe… Plus: Schwarzmalerei.

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