Dresscode Buttplug

Es war wieder einer dieser Sonntage, an denen nicht viel zu tun war. Trotzdem hatten wir unseren Praktikanten ins Büro bestellt, hauptsächlich weil die Filterkaffeemaschine wieder verkalkt war. Er bewies dabei eine merkwürdige Routine und konnte die Aufgabe schon nach etwa einer Stunde beenden. Also musste eine neue Aufgabe her. Die nächste Stunde sollte er damit verbringen, unseren Spam-Mailordner zu sortieren. So kamen einige Mailfreundschaften mit unseren arabischen Cousins zustande, die uns bald sehr viel Geld überweisen wollen, aber er fand auch eine Mail von Kulturmanagement Network mit einem hochdotierten Honorarauftrag: Wir sollten einen Artikel für das KM Magazin schreiben, mit 22.000 Abonnenten und dem heißen Thema „Teilkultur – Wieviel Teilnahme verträgt der Kulturbetrieb?“. Da konnten wir schlecht nein sagen und einige Mails und verpasste Deadlines später gibt’s das Ding jetzt hier und bald auch in diesem „Print“.

Und da wir wissen, wie viel Überwindung es kostet auf einen Link zu klicken, hier der Artikel:

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Das Thema ist ausgelutscht. Wie viele hunderte Artikel sind erschienen zu der Frage, wie man das „elitäre Image der klassischen Musik“ verbessern könnte. Wie Klassik bodenständiger würde – vom Sockel der Hochkultur herabsteigt zum kleinen Bürger. Wie Veranstalter eine andere Hörerschaft als den viel zitierten „Silbersee“ oder neudeutsch die „Generation Buttplug“ gewinnen könnten.

Seither wurden seitens der Veranstalter tausende Versuche unternommen, das eigene Image zu wandeln. Man denke nur an all die Gesprächskonzerte, Late-Night-Formate, WG-Konzerte, Konzertwanderungen, Flashmobs und mein persönlicher Liebling: die Kaffeestunde mit leichtem Mozart-Geplänkel für das originale Salon-Feeling. Was dürfen wir als nächstes erwarten? Schönberg im Fahrstuhl?

Manche dieser Formate erfreuen sich größter Beliebtheit, andere laden nur zum Fremdschämen ein. Es mag hip sein, Konzerte in dem Club aufzuführen, in dem die Kundschaft am Wochenende fünf Alkopop-Pitcher wegdownt und dann ein Twerk-Battle zu „I like big butts“ abfeiert. Content is king, package is god? Am Arsch!

Denn hier liegt das grundlegende Missverständnis: Wir haben viele dieser Konzerte besucht und immer wieder festgestellt, dass sich kein Künstler traut, ein Werk von über 7 Minuten mit mehr als zwei Modulationen zu spielen. Alles muss gefällig, rund, kurz und einprägsam sein. Am besten ’ne nette Melodie, die man schon irgendwoher kennt, vielleicht aus der Melitta-Werbung. Denn das Publikum wird unterschätzt. Auch Konzertgänger, die nicht über einen Master of Arts verfügen, können sich ein Urteil über die Musik bilden und besitzen eine größere Aufmerksamkeitsspanne als ein Goldfisch mit Alzheimer.

So, wie klassische Musik im Club gespielt wird, wird sie auf ihre Oberfläche reduziert. Es ist, als wolle man jemandem die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts nahe bringen, indem man ihm Donald Duck Comics vorsetzt.

Die selbe Tendenz lässt sich nicht nur bei Konzertveranstaltern, sondern auch beim Rundfunk beobachten. Lang Lang spielte beim ECHO Klassik Chopins Scherzo Nr. 2, beziehungsweise die Schnipsel daraus, die er dem Publikum zumuten wollte: eine dramatische Eröffnung, daraufhin eine hoch-romantische Melodie und zum krönenden Abschluss ein virtuoses Finale. So wird der unzumutbar lange Sieben-Minuten-”Schinken” auf knackige anderthalb Minuten zurechtgeschnitten, ohne die lästigen, tiefgängigen Mittelteile und langwierigen Wiederholungen.

Als Argument für diese Umstellungen hört man immer wieder, dass sich die Hörgewohnheiten ändern, da Zeit heutzutage knapp sei. Aber käme deshalb jemand auf die Idee, sich nur die besten Szenen aus Star Wars anzuschauen? Nein. Kunst braucht Zeit. Und klassische Musik braucht Zeit und einen angemessenen Rahmen.

Zu diesem angemessenen Rahmen gehört es, zwanzig Minuten am Stück zu schweigen (eine Übung, die vielen ohnehin gut tun würde) und die Jogginghose für zwei Stunden im Schrank zu parken. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass man ohne Armani-Dreiteiler des Hauses verwiesen wird. Es gibt Nachtclubs mit strengeren Kleidungsvorschriften. In den Köpfen vieler Nicht-Konzertbesucher ist das Vorurteil Klassisches Konzert Anzug/Abendkleid elitäre Veranstaltung sehr präsent und wird als Hemmnis für einen Konzertbesuch genannt. Dabei sind der Steve-Jobs-Gedächtnis-Rolli und das Signature-Maschinenbau-Karo-Kurzarm-Hemd längst in den Konzertsälen etabliert. Und wer einen Anzug mit “Elite” verbindet, der hat nie eine Burschenschaft oder einen Abiball besucht.

Kurzum, neue Konzertformate sind essentiell für die klassische Musik, aber nur wenn sie klassische Musik auch als klassische Musik verkaufen und nicht als einen platten, anbiedernden Abklatsch.

Lukas

erhofft sich durch den Blog vor allem hohe Berühmtheit und großen Reichtum, um sein überqualifiertes Ghostwriter-Team bezahlen zu können.

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