Lana Del Reydiohead und der Kampf der 4 Akkorde

Musikalische Plagiate sind oft eine heikle Sache. Verschiedene Gerichte kommen zu verschiedenen Urteilen, und man kann immer trefflich darüber streiten, ob ein Urteil gerechtfertigt war oder nicht. Meist steht die Frage im Zentrum, was denn nun als geistiges Eigentum anerkannt wird, das folglich auch entwendet werden kann. Ein Akkord kann es nicht sein. Zwei Akkorde hintereinander wohl auch nicht. Aber eine Folge von vier Akkorden?

Genau darum geht es scheinbar den Anwälten der Band Radiohead. Die werfen der Sängerin Lana Del Rey Plagiat vor, weil ihr Song “Get Free” zu sehr an Radioheads berühmten Song “Creep” erinnere.

Ein Verlagsmitarbeiter von Radiohead dementiert allerdings, dass sie 100% Beteiligung gefordert hätten und dass es eine Klage gibt. Hier steht also Aussage gegen Aussage (Stand: 13.01.2018).

So oder so: Es wurde Kontakt aufgenommen und es wurden Ähnlichkeiten zwischen den Songs thematisiert. Dabei geht es offenkundig vor allem um eine sehr markante Akkordfolge. Sie besteht bei „Creep“ (1992) aus den Akkorden G – H – C – c und klingt so:

(Großgeschriebene Buchstaben meinen den jeweiligen Dur-Akkord, kleingeschriebene den Moll-Akkord über dem entsprechenden Ton.)

 

Vor allem zwei Merkmale machen für mich das Prägnante dieser Akkordfolge aus:

  1. Die Tatsache, dass der zweite Akkord in Dur statt in Moll steht (1 auf 2). Stünde der zweite Akkord in Moll, würde der Wechsel deutlich glatter und gewöhnlicher wirken.
  2. Der Wechsel des Dur-Akkords (3) zu seiner eigenen Moll-Version (4). Der Wechsel des Tongeschlechts wirkt hier ungewohnt, weil man (zumindest ich) im Pop nach zwei oder vier Takten eher einen Wechsel des ganzen Akkords erwartet, und nicht nur eine Verschiebung von Dur zu Moll.

Diese – eben sehr markante – Akkordfolge taucht 1:1 in der Strophe des Lana Del Rey-Songs “Get Free” (2017) auf (0:04-1:24 und 2:07-3:22). Vier mal hintereinander und diesmal in B-Dur (B – D – Es – es; aber die Tonart spielt keine Rolle, denn die relativen Verhältnisse zwischen den Akkorden sind die gleichen):

 

Nun wurde Radiohead selbst einmal vorgeworfen, geklaut zu haben. Die Songschreiber Albert Hammond und Mike Hazlewood fanden Elemente ihres Songs “The Air That I Breathe”, den die Band The Hollies 1974 bekannt machte, in “Creep” wieder. Es folgte eine außergerichtliche Einigung; die Songwriter erhielten als Co-Autoren Anteile der Tantiemen des Songs. Auch hier ging es vor allem um die besagte Akkordfolge, diesmal in C-Dur (C – E – F – f; zu hören 0:15-0:58, 1:22-1:39 und 2:32-2:52)

 

Doch der Grad der Entsprechung unterscheidet sich. Bei The Hollies taucht die Akkordfolge in der Strophe zweimal auf, dann geht es aber jeweils anders weiter. Außerdem werden die Akkorde unterschiedlich lang gespielt: die Akkorde 3 und 4 werden jeweils nur halb so lang ausgehalten wie die Akkorde 1 und 2. Die Akkordfolge ist also nur ein Element eines insgesamt abwechslungsreichen Songs.

Radiohead haben es dann in “Creep” gerade zum Prinzip gemacht, diese prägnante Akkordfolge den kompletten Song über, in Strophe und Refrain, durchzuziehen. Damit haben sie wiederum einen eigenständigen und einprägsamen Song geschaffen.

Lana Del Rey setzt in “Get Free” die Akkordfolge in der Strophe genauso ein wie Radiohead in “Creep”: gleiche Akkordfolge; alle vier Akkorde gleich lang ausgehalten. (Auch melodisch gibt es starke Ähnlichkeiten, die ich jetzt mal außen vor gelassen habe.) Der Refrain hebt sich zwar stark ab und lässt keinerlei Ähnlichkeit mit “Creep” erkennen. Doch ist die Akkordfolge in der Strophe so offensichtlich die gleiche, dass es schwer fällt, an Zufall zu glauben.

Wenn es stimmt, dass Radioheads Anwälte 100% Beteiligung an den Tantiemen zu “Get Free” fordern, wäre das ganz schön viel dafür, dass immerhin ’nur‘ die Strophe ihrem Song so offensichtlich ähnelt, der Refrain aber ziemlich eigenständig ist. Möglicherweise wird die Sache nun juristisch geklärt.

Aber: Was bedeutet es eigentlich, dass Lana Del Rey und ihre zwei Co-Writer (Rick Nowels und Kieron Menzies) für ihre Strophe 1:1 das harmonische Material eines extrem bekannten Songs verwenden? Kannten sie “Creep” nicht? Kannten sie den Song, haben aber nicht bemerkt, dass sie die gleiche Akkordfolge benutzen? Oder haben sie es gemerkt und leugnen es nun?

Dann hätten diese drei Profimusiker entweder wenig Ahnung von Popgeschichte, ein miserables Gehör, oder sie wären unehrlich. Oder taub. Das hat immerhin andere auch nicht vom Komponieren abgehalten.

Sebastian Herold

Studiert Musikwissenschaft (M.A.) in Mainz. Würde nur promovieren, um seine Mitmenschen dann stets mit gönnerhafter Miene aufzufordern, sie mögen "den Doktor doch weglassen".

2 Antworten

  1. In der Musik gibt es nunmal gewisse Bausteine (Instrumentierung, Sounds, Harmonie, Melodie, Rhythmus,Tempo, usw.) die man in unterschiedlichen Kombinationen zusammenbauen kann. Ganze Genres benutzen teilweise gleiche Elemente um sich damit zu identifizieren. Das wirklich Neue entsteht durch den individuellen Ausdruck des/der Künstler und der einzigartigen Kombination. Der Komponist sollte, auch immer schon im eigenen Interesse schauen, ist sein Werk originell, oder gibt es zu große Ähnlichkeiten zu anderen Stücken. Andererseits ist die Sprache der Musik doch hoffentlich frei und der Hörer wird sich sein eigenes Urteil bilden…

  2. Huflaikhan sagt:

    Ich glaube, in Deutschland könnte niemand damit einen Blumentopf gewinnen. Da gibt es keinen Harmonienschutz. Wenn ich die Anwälte von Lana wäre, würde ich einen gescheiten Musikkenner beauftragen, diese Akkordfolge in anderen Stücken zu suchen. Am besten gleich bis in die Vorsteinzeit zurück. Oder ggf. nachzuweisen, dass Akkordfolgen (anhand anderer Beispiele) so ziemlich wurscht sind. Und man jede mögliche Melodie drauf setzen kann.

    Aber in USA ist ja sowieso alles anders.

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