Das Urteil „Jain“ | #playhARD
Niemand weiß (wirklich), was bei Jurysitzungen passiert. Gut, es gibt Ausnahmen. Und ja: wenn man Kontakt zu einem Jurymitglied hat oder jemanden kennt, der sich danach umgehorcht hat, dann kann man einiges in Erfahrung bringen. Aber in und für 99% bleibt es beim für sich stehenden, unbegründeten Urteil.
Der diesjährige ARD Musikwettbewerb endete am Sonntag mit einem erstaunlichen Patt: In der Wertung Oboe konnte sich die Fachjury auf keinen eindeutigen Sieger festlegen, sie vergab an die drei Finalist*innen jeweils einen 2. Preis.
Dass nicht immer ein 1. Preis vergeben wird, ist in der Geschichte des Wettbewerbs keineswegs außergewöhnlich. Ganz im Gegenteil: Nur in einer der drei anderen Kategorien in diesem Jahr entschied sich die jeweilige Jury für einen eindeutigen Gewinner. Das macht den Wettbewerb und den Gewinn desselben ja dann auch so bedeutend. Die Entwertung von Preisen etwa beim Nachwuchs-Musikwettbewerb Jugend musiziert oder z. B. die Inflation von guten und besten Abschlussarbeiten im Wissenschaftsbereich werden immer wieder diskutiert.
“… denn sie wissen nicht, was sie tun”
Dass aber keine weitere Differenzierung vorgenommen wird (z. B. zwei 2. Preise und ein 3. Preis) – übrigens das letzte Mal vor fünf Jahren passiert –, ist auf den ersten Blick schon bemerkenswert. Man fühlt sich als aufmerksamer Zuhörer mit eigener, schnell gebildeter Meinung persönlich hintergangen von der Nicht-Entscheidung. Empathie für die durchweg jungen, talentierten und sympathischen Menschen, die soeben auf der Bühne alles gegeben haben, wandelt sich leicht in eine Stellvertreter-Empörung.
Die hat der streitbare Musikkritiker und BBC-Journalist Norman Lebrecht auf seinem Blog SlippedDisc geschickt eingefangen und kondensiert:
“This is a massive, collective failure of a competition. Judges who cannot reach a decision should not sit in judgement. Candidates who are not worthy of winning should not be passed into the finals. Competitions that yield no result should be scrapped.”
Ganz klar: Die Kandidaten sind schuld. Die, die sie bewerten, sind schuld. Und still schwingt mit: Die, die die Jurys so heterogen zusammen stellen, sind schuld.
Aber ist das nicht eher ein Kompliment an die Organisatoren? Der Auswahlprozess ist heikel und diffizil. Stichwort: Bandbreite an künstlerischen Meinungen und grundsätzliche Neutralität gegenüber einzelnen Geschmacksströmungen.
Ja, so eine Jury(nicht)entscheidung kann Unentschlossenheit signalisieren. Aber beim Finale Oboe war es anders: Anderthalb lange Stunden ließ die Jury das ungeduldiger werdende Publikum warten. Das klingt eher nach heftigem Ringen um eine gemeinsame Entscheidung als nach ausgelassener Feierorgie auf Gebührenzahlerkosten.
Man sollte das Positive sehen: Wenigstens hat man dann genug Zeit, sich den eigenen Verschwörungstheorien hinzugeben zu gekauften Stimmen, heimlichen Allianzen und vorher feststehenden Siegern. Und – wenn man schon vorher wüsste, wie lange man wartet – könnte man sich auch zwischendurch “Das Urteil – Jeder ist käuflich” gönnen.
Der Juror Nicholas Daniel (Oboe) hat auf seinem privaten Facebook-Profil öffentlich ein lesenswertes Wettbewerbs-Tagebuch geführt mit interessanten Einblicken. Der letzte Post:
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