Das Großzitat – Ein Beispiel

Großziatat

Wikipedia sagt und damit ist das juristisch unstrittig:

„Nach deutschem Recht darf gemäß § 51 UrhG das Großzitat verwendet werden, ‚sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.‘ Zulässig ist dies insbesondere, wenn:

  • ‚einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden,‘
  • ‚Stellen eines Werkes nach der Veröffentlichung in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden,‘
  • ‚einzelne Stellen eines erschienenen Werkes der Musik in einem selbständigen Werk der Musik angeführt werden.‘

Weiter: „Als wissenschaftliche Werke gelten nicht nur Forschungsarbeiten (wie z. B. Dissertationen), sondern auch populärwissenschaftliche Literatur, die der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse dient.“

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fzitat

Populärwissenschaftlich! Auf jeden Fall sind wir das. 

Wir möchten das an dieser Stelle gerne verdeutlichen und an einem Beispiel uns ausprobieren:

Musik verstehen – Musik interpretieren.

Der Doppel-Titel dieser Festschrift für den Künstlergelehrten Siegfried Mauser bezieht sich auf die zwei Weisen des Umgangs mit Musik: die theoretische und die praktische, die der Jubilar auf einzigartige Weise zu verbinden weiß. Man hat der abendländischen Musik eine „doppelte Ontologie“ zugeschrieben1 – die Ontologie der Produktion und diejenige der Reproduktion, die sich voneinander kaum ablösen lassen, die aber nicht zusammenfallen. „Musik bedarf der Interpretation“, betont Theodor W. Adorno immer wieder in seinen nachgelassenen Aufzeichnungen Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion.2 Sie ist, so seine permanent ins Spiel gebrachte Metapher, die „Röntgenphotographie des Werkes“.3 Wobei er Interpretation hier nicht in theoretischem, sondern musikalisch-praktischem Sinne versteht. Gemeint ist also die „performative“ in Abgrenzung von der „hermeneutischen Interpretation“.4 Die Buchstabenschrift erhebt anders als die Notenschrift nicht den Anspruch, ein autarkes Medium zu sein. Was die aufgeschriebene Musik von der aufgeschriebenen Sprache sowie von den anderen Künsten unterscheidet, ist eben die Differenz zwischen produktiver Fixierung und Reproduktion des Fixierten. Ein Bild ist ein Bild, eine Dichtung kann als geschriebener Text Autonomie beanspruchen, der Notentext jedoch ist nicht identisch mit dem musikalischen Werk, eine Partitur genügt sich allenfalls für den des Notenlesens kundigen Experten selbst, doch im Lichte der ästhetischen Logik ist sie auf Reproduktion angelegt, erschließt sich im Vollsinn nur im Erklingen und Hören. Unsere Festschrift zielt auf die Unterscheidung von musikalischer Reproduktion in aus- und aufführendem wie verstehendem Sinne. Um das Problem der Differenz – mehr aber noch des unlöslichen Zusammenhangs zwischen beiden Modi der Reproduktion – hat Siegfried Mauser ebenso sein Leben lang gerungen wie um das Verhältnis zwischen den beiden ,Ontologien‘ von musikalischer Produktion und Reproduktion. Die Faszination der vielschichtigen Persönlichkeit Mausers rührt nicht zuletzt daher, dass er in den verschiedenen ,Ontologien‘, der produktiven und der performativ wie hermeneutisch reproduktiven, in einer Weise zu Hause ist wie kaum ein anderer homme de musique. In Deutschland ist ihm wohl nur der Dirigent und Musikologe Peter Gülke vergleichbar, der auch in dieser Festschrift mit einem Beitrag vertreten ist. Durch seine enge persönliche Verbindung mit den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart – vielfach als deren Uraufführungsinterpret – hat er den Kompositionsprozess in einem Maße internalisiert, dass seine eigenen pianistischen Interpretationen oft wie Neuschöpfungen anmuten. Und wer je ein Vortragskonzert von Mauser erlebt hat, weiß, wie enthusiastisch und enthusiasmierend er zwischen Vortragspult und Klavier hin und her eilen kann, um ,performativ‘ zu exekutieren, was er ,hermeneutisch‘ vorgedacht hat, oder umgekehrt auf den Tasten vorzubereiten, was er anschließend verbal nachbereiten wird. Verblüffend immer wieder, dass er dieselbe Konzentration und handwerkliche Perfektion für das eine wie das andere, für das Spiel wie für die Gedankenarbeit aufzubringen vermag, apollinisch reflektierend und dionysisch in die Tasten fahrend, ein Charismatiker, der jeden Hörer mitreißt und doch diskursiv überzeugt. Siegfried Mauser wurde 1954 in der niederbayerischen Musikstadt Straubing geboren, aus der so mancher prominente Musiker hervorgegangen ist, studierte seit 1974 Klavier an der Musikhochschule München (u.a. bei Rosl Schmid und Alfons Kontarsky) sowie Musikwissenschaft an den Universitäten Salzburg und München. Diese beiden Städte sollten ihm zum Schicksal werden, zu den bestimmenden räumlichen und geistigen Polen seines Lebens. Nach seiner Promotion in Salzburg über Das expressionistische Musiktheater der Wiener Schule (1982) lehrte er an den Musikhochschulen in München und Würzburg. 1989 wurde er auf die Professur für Musikwissenschaft am Mozarteum in Salzburg berufen. Seine bedeutendste Leistung war hier die Gründung des Forschungsinstituts für musikalische Hermeneutik, aus dem wegbereitende Symposien und die zusammen mit Gernot Gruber herausgegebenen Schriften zur musikalischen Hermeneutik hervorgegangen sind. 2002 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Musikwissenschaft, verbunden mit einer Klasse für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater München, zu deren Rektor (später Präsident) er schon ein Jahr später für mehr als ein Jahrzehnt wurde, um 2014 in derselben Funktion ans Mozarteum zurückzukehren. Den Hochschulen in München und Salzburg ist er in gleicher Weise treu geblieben, auch in den Jahren, da er hauptamtlich an einer der beiden Institutionen wirkte. Die Hochschule für Musik und Theater hat Mauser als Rektor und Präsident in einer Zeit des Umbruchs sowohl des gesamten Studienbetriebs – inklusive der rund 800 hochschuleigenen Veranstaltungen – als auch der Fusion und Kooperation mit anderen Kulturinstitutionen wie zumal der Bayerischen Theaterakademie so fundamental beeinflusst wie keiner seiner Amtsvorgänger. Gründlicher sei die Hochschule „in ihrer Geschichte nie umgekrempelt worden“ wie in den elf Jahren der Mauser’schen Amtszeit, urteilte sein Nachfolger Bernd Redmann 2014 in seiner Rede auf den scheidenden Vorgänger. Seit 1990 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, wurde Mauser 2002 zudem für fast anderthalb Jahrzehnte Direktor ihrer Musikabteilung und machte diese – vor allem da es ihm gelang, die bedeutendsten Komponisten und Interpreten zeitgenössischer Musik zu Gesprächskonzerten zu bewegen – zur wirkungsmächtigsten Einrichtung der Akademie und zu einem Zentrum der Neuen Musik. Immer war es sein Bestreben, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen, die Akademie zum Forum musikalischer ,Unangepasstheit‘ zu machen – und nicht nur zum Podium der allseits bekannten Berühmtheiten des Musiklebens. Nie verschrieb er sich einer ,Schule‘, irgendeiner musikalischen Dogmatik, zu der die Neue Musik nicht selten neigte. Dagegen war er durch seine umfassende Kenntnis der europäischen Musikgeschichte wohl gefeit! Wie er in seinen Publikationen und vor allem in seinen musikwissenschaftlichen Vorlesungen stets die ganze Musikgeschichte an den Augen und Ohren seiner Leser und Hörer vorüberziehen lässt, so beherrscht er als Pianist das Repertoire von Mozart bis Rihm. Er hat nicht nur alle Klaviersonaten von Mozart auf CD eingespielt, sondern auch – neben vielen Einzelaufnahmen zumal zeitgenössischer Komponisten wie Bialas, Killmayer und Rihm – sämtliche Klavierwerke von Paul Hindemith, Alexander Zemlinsky und Karl Amadeus Hartmann sowie Lieder u.a. mit seinen langjährigen Duopartnern Thomas E. Bauer, Siegfried Jerusalem, Christoph Pregardien oder Markus Schaefer. Sein Doppelgenie als musikalischer Gelehrter und gelehrter Musiker ist durch und durch universalistischen Gepräges, wie neben seinen Einzelpublikationen die von ihm herausgegebenen Schriftenreihen und Sammelwerke zeigen, zumal sein sechzehnbändiges Handbuch der musikalischen Gattungen (1993ff.). Doch nicht nur überragender Musiker und Gelehrter ist Mauser, sondern auch ein Impresario großen Stils, der das zeitgenössische Musikleben in Deutschland und Österreich aufgrund seiner vielfältigen Funktionen nachhaltig geprägt hat. Für sein Werk und Wirken hat er verdientermaßen die höchsten Ehrungen erhalten – wie das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst (2009), das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (2010) und den Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst (2012). Mausers Glanz rührt auf der professionellen Ebene – neben seinen organisatorischen, seinen Management-Qualitäten – von seinem außergewöhnlichen pädagogischen Charisma her, dem mitreißenden Engagement, der ingeniösen didaktischen Begabung, selbst schwierigste und komplexeste Sachzusammenhänge auch für den Laien begreiflich zu machen, der Sprachfreude und luziden Formulierungskunst. Auf zwischenmenschlicher Ebene bezwingt Mauser immer wieder durch seine alle konventionellen Manieren sprengende, jegliches ,repräsentative‘ Gebaren für sich selber verwerfende, menschenfreundliche und ,millionenumschlingende‘ Kommunikationsbereitschaft und Herzlichkeit. Diese kennt keine Hierarchie, macht keinen Unterschied zwischen dem weltberühmten Musiker und dem Studenten und baut so alle Barrieren zwischen sich und den anderen ab. Plastisch hat sein Nachfolger Bernd Redmann in seiner Laudatio von 2014 beschrieben, wie es Mauser gelingt, durch seine „entwaffnende Offenheit“, sich selbst als Person zugänglich zu machen, alle distanzierende Maskerade sowohl auf der eigenen Seite als auch auf der seines Gegenübers zu durchbrechen, „eine direkte Begegnung Auge in Auge, Mensch zu Mensch herbeizuführen“ und Absichten und Wünsche seines Gesprächspartners zu entschlüsseln. Mausers Empathie, das Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich mitzufreuen und mitzuleiden, wurden ihm nicht immer nur gedankt. Seine Visionen und sein unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontaneität und begeisternde Vitalität haben ihm manche Kritik eingetragen – und sein bisweilen die Grenzen der ,bienséance‘ überschreitender weltumarmender Eros hat für ihn schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt. Seinem unanfechtbaren künstlerischen und wissenschaftlichen Lebenswerk und seinem für die zeitgenössische Musikwelt so unentbehrlichen Wirken droht dadurch ein Ende gesetzt zu werden. Die vorliegende Festschrift sucht dem entgegenzuwirken. In ihr haben sich Freunde, Weggefährten und Kollegen zusammengetan, um Siegfried Mauser für sein Werk und Wirken zu ehren: Komponisten, Interpreten, Schriftsteller und Kulturwissenschaftler. Die Beiträge dieses Bandes suchen das breite und facettenreiche Spektrum seiner Interessen wenigstens in Ansätzen widerzuspiegeln. Sie zeugen von dem Respekt für seine unvergleichliche Lebensleistung, die vor allem darin besteht, Theorie und Praxis des Umgangs mit Musik, ihres ,Verstehens‘ zum dialektischen Einklang zu bringen. Anders als dialektisch kann dieser Einklang nicht sein. „Wahre Reproduktion“, so Adorno, „ist nicht einfach die Realisierung des analytischen Befundes“, sondern sie schließt „notwendig die Subjektivität des Interpreten ein“.5 Ohne sie – wie sie sich im spezifischem „Idiom“6 des letzteren, seinem Anschlag, Geigenton usw., also „dem die Sprache des Instruments Sprechen“, ausdrückt – gibt es nach Adorno „keine große Interpretation. […] Ist nicht dies über die Wiedergabe hinausgehende, selbständige Moment der vokalen oder instrumentalen Sprache beim Interpreten vorhanden, so ist gerade die Objektivität des Werkes nicht zu realisieren, die aufs Subjekt als ein in ihr nicht Aufgehendes verwiesen bleibt. Dies ist einer der tiefsten Ansatzpunkte der Dialektik der Interpretation.“7 Könnte dieses Diktum nicht geradezu auf Siegfried Mauser gemünzt sein, der die Analyse niemals der Subjektivität der Interpretation geopfert hat? Ohne „Spontaneität“, so Adorno, keine „wahre Reproduktion“. Diese auf die „Realisierung des Befundes der Analyse“ zu reduzieren, „ergäbe einen unerträglichen Rationalismus und setzte tendenziell die Musikwissenschaft als Instanz der musikalischen Darstellung ein“.8 Davor hat Mauser sich stets erfolgreich gehütet. Für ihn bleibt die ,Unschärferelation‘ zwischen Notentext und Interpretation immer der Spielraum seiner eigenen pianistischen Kunst. Für Adorno gehört zur wahren Reproduktion auch das Gestische, das „mimische Element“ 9, das „körperhafte“ Klavierspiel. Dieses „definiert den Pianisten“, und er fügt selbstkritisch in Bezug auf sein eigenes Klavierspiel hinzu: „es ist genau das, was mir abgeht. Aber wer nicht so Klavier spielt, kann auch keine Beethoven-Sonate richtig darstellen [sic!]“.10 Siegfried Mauser konnte und kann es! 

Dieter Borchmeyer Susanne Popp Wolfram Steinbeck

 1 Harald Haslmayr, Zum Verhältnis von Inspiration und Interpretation bei Wolfgang Amadeus Mozart und Eduard Mörike, in: Musikalische Produktion und Interpretation. Zur historischen Unaufhebbarkeit einer ästhetischen Konstellation, hrsg. von Otto Kolleritsch (Studien zur Wertungsforschung 43), Wien und Graz 2003, S. 176–189, hier S. 177.
2 Theodor W. Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion, hrsg. von Henri Lonitz, Frankfurt a.M. 2001, S. 105.
3 Ebenda, S. 9 u.ö.
4 Hermann Danuser, Interpretation, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. hrsg. von Ludwig Finscher, Sachteil 4, Kassel 1996, Sp. 1053ff.
5 Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion, S. 91.
6 Ebenda, S. 122.
7 Ebenda, S. 86.
8 Ebenda, S. 106f.
9 Ebenda, S. 91.
10 Ebenda, S. 148.

aus: Dieter Borchmeyer, Susanne Popp, Wolfram Steinbeck (Hgs.), Musik verstehen – Musik interpretieren. Würzburg: 2019, S. 9–14

 

Dieses Zitat ist das Geleitwort der Festschrift für Siegfried Mauser zum 65. Geburtstag. Borchmeyer, einer der Herausgeber*innen, sagte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, dass die Autorin der Zeit, die bereits vor der Veröffentlichung darüber schrieb, losgelöst aus dem Zusammenhang zitiere.
Und um diesen Fehler zu vermeiden, haben wir nun das gesamte Vorwort vorangestellt. Nun können wir gemeinsam mit unseren Leserinnen nachvollziehen, warum dieses Vorwort richtig übel ist und werden das im Folgenden an ausgewählten Stellen erläutern. Denn es ist wichtig für ein Großzitat, dass es erläutert wird.
Zudem ist die Auflage dieses Buches wohl sehr niedrig dreistellig und der Preis bei 78€ sehr hoch, gleichzeitig sollte es nicht exklusiv sein, was die hochdotierten und zahlreich geehrten alten Menschen der Kulturszene so von sich geben. 

Unsere Festschrift zielt auf die Unterscheidung von musikalischer Reproduktion in aus- und aufführendem wie verstehendem Sinne. (S.9)
Eine Festschrift wird immer zu bestimmten Anlässen wie Geburtstagen, Jubiläen oder Ausscheiden aus einem Amt o.ä. veröffentlicht; wie hier auch. Doch den Herausgeber*innen war es wohl wichtig, ihr noch einen weiteren Zweck zu geben. Daraus könnte man schließen, dass die ganze Sache ihnen doch etwas unangenehm ist und etwas moralisches Rechtsempfinden irgendwo noch glimmen könnte.

Sein Doppelgenie als musikalischer Gelehrter und gelehrter Musiker ist durch und durch universalistischen Gepräges, […] (S. 11)
Nicht nur Genie, sondern gleich Doppelgenie … die Debatte um den Geniekult hat echt nen Bart. (Lesetipp: Ich bin ein Genie und ich darf alles von Moritz Eggert über Barenboim) Und um es einmal erwähnt zu haben: Genie hat keine Sonderstellung im Grundgesetz oder Strafrecht. Nicht mal in der Bibel bei den 10 Geboten gibt es die Fußnote ‚außer für Genies’. Sogar Jesus musste sich daran halten und der hat aus Wasser Wein gemacht.

Gründlicher sei die Hochschule ‚in ihrer Geschichte nie umgekrempelt worden‘ wie in den elf Jahren der Mauser’schen Amtszeit, urteilte sein Nachfolger Bernd Redmann 2014 in seiner Rede auf den scheidenden Vorgänger. (S. 11)
Was auch immer da gekrempelt wurde, wir hoffen, dass nun endlich – nicht nur in München – die Unterhose nicht nur von links auf rechts gedreht wird, sondern gründlich aufgeräumt wird. Respekt, Anstand und Ethik aus dem Keller hervorgeholt und mit Sagrotan auf Hochglanz poliert werden. Rattengift gegen männliche Seilschaften ausgelegt wird.

Doch nicht nur überragender Musiker und Gelehrter ist Mauser, sondern auch ein Impresario großen Stils, der das zeitgenössische Musikleben in Deutschland und Österreich aufgrund seiner vielfältigen Funktionen nachhaltig geprägt hat. (S. 11)
Wenn jemand seine Macht missbraucht hat, sollte zunächst kritisch hinterfragt werden, was seine tatsächliche Wirkung war. Das wird an dieser Stelle gar nicht formuliert. Es wird nur gesagt, dass er geprägt hat.
Wir hoffen, dass diese Debatte um Mauser nachhaltig in dem Sinne wird, dass Musikhochschule und Kultureinrichtungen Konzepte erarbeiten, was man tut, um grundsätzlich Übergriffe zu verhindern und wenn es doch dazu kommt, wie man korrekt damit umgeht. Denn anhand der Reaktionen und der vorliegenden Festschrift fehlt bei vielen Menschen in machtvollen Positionen jegliches Wissen und eine Sensibilität dafür. 

Auf zwischenmenschlicher Ebene bezwingt Mauser immer wieder durch seine alle konventionellen Manieren sprengende, jegliches ,repräsentative‘ Gebaren für sich selber verwerfende, menschenfreundliche und ,millionenumschlingende‘ Kommunikationsbereitschaft und Herzlichkeit. Diese kennt keine Hierarchie, macht keinen Unterschied zwischen dem weltberühmten Musiker und dem Studenten und baut so alle Barrieren zwischen sich und den anderen ab. (S.12)
Der erste Teil lässt eine Vorstellung aufkommen, dass Mauser ein Mensch sei, der sich nicht an Regeln oder „Manieren“ hält, aber dieses ja aus einer „Herzlichkeit“ täte. Solche Erklärungen wirken im Zusammenhang mit einem Menschen, der gerade wegen Sexualstraftaten verurteilt wurde, doch sehr befremdlich. Was wiederum durch den zweiten Teil verstärkt wird: „Diese kennt keine Hierarchie“. Die Positionen, die Mauser innehatte, waren sehr mächtig und die Strukturen, in denen er wirkte, hierarchisch. In solchen Funktionen muss man sich dessen bewusst sein. Selbst wenn sich alles super flauschig anfühlen mag, muss es dem Gegenüber ganz und gar nicht so gehen. Vor allem wenn das Gegenüber wirtschaftlich abhängig ist, 5 Gehaltsstufen unter einem liegt und die Konkurrenz hart ist. Es gibt diese Hierarchien und man muss mit ihnen umgehen. Wer das nicht kann, ist ungeeignet für eine solche Position. 

Mausers Empathie, das Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich mitzufreuen und mitzuleiden, wurden ihm nicht immer nur gedankt. Seine Visionen und sein unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontaneität und begeisternde Vitalität haben ihm manche Kritik eingetragen – und sein bisweilen die Grenzen der ,bienséance‘ überschreitender weltumarmender Eros hat für ihn schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt. (S. 12)
*kotz* (auf wissenschaftliche Art und Weise) 

Seinem unanfechtbaren künstlerischen und wissenschaftlichen Lebenswerk und seinem für die zeitgenössische Musikwelt so unentbehrlichen Wirken droht dadurch ein Ende gesetzt zu werden. Die vorliegende Festschrift sucht dem entgegenzuwirken. (S. 12)
Es fehlt die Begründung, warum es unanfechtbar ist. Eigentlich ist es für die Wissenschaft sogar unabdingbar, dass Theorien anfechtbar sind (vgl. Poppers Wissenschaftstheorie). Die Autor*innen formulieren hier quasi offen, dass sie den Opfern nicht glauben, sondern es als Komplott verstehen.

Siegfried Mauser konnte und kann es! (S. 13)
Er konnte also Beethoven spielen. Doch stellt das jemand in Abrede?
Vielmehr ist es verwirrend, warum ausgerechnet Adorno immer wieder herangezogen wird. Adorno besagt kurz und grob gesagt, dass Kunst, Interpretation und Analyse immer Ausdrücke ihrer Zeit sind. Mauser war als Musikwissenschaftler*in aber eine Vertreter*in der Hermeneutik, die wiederum das Kunstwerk losgelöst aus Kontexten betrachtet. Die Forderung der Herausgeber*innen ist, dass man Mausers künstlerische und wissenschaftliche Auslassungen nun nicht verwerfen solle, nur wegen dieser „Sache“. Dann entscheidet euch doch auch bitte dafür, dass das Werk losgelöst von der Künstler*in ist und dann braucht man für gar niemanden Festschriften machen. Und an Beethoven-Interpret*innen mangelt es ferner auch nicht. 


P.S.: Der von uns sehr geschätzte Alexander Strauch fordert:


„Daher wäre es sehr wichtig, wenn Viele immerhin klar und deutlich öffentlich vermelden würden: ‚Das Wirken Mausers als Sexualstraftäter finden wir nicht o.k., sein künstlerisches Wirken schon, sein Wirken in Ämtern wiederum nicht, da wir klar gegen jegliche Art von Amtsmissbrauch und die Ausübung sexueller Übergriffe sind.‘“

Möchten wir hiermit offiziell vermelden!  Dem künstlerischen Wirken können wir nicht zustimmen, weil wir ihn noch nie gesehen oder gehört haben. Was aber auch wayne ist und nicht nachgeholt wird. Denn es gibt ausreichend tolle Musikerinnen, da kann man die Arschlöcher und ihre Freund*innen ohne Bedauern beiseite lassen. Zumal sein musikalisches „Werk“ gerade mal von „Mozart bis Rihm“ (S.11) reicht. Also alles von A bis L und S bis Z fehlt: Bach, Cage, Bush, Fitzgerald, Hensel, Humpe, Joplin, Lennon, Lowtzow, Schumann, Winehouse, Uhlmann, … .

P.P.S.: Wirklich großer Props an nmz/ BadBlog. Wir waren, sind und bleiben eure größten Fans <3

https://blogs.nmz.de/badblog/2019/10/14/offener-brief-an-die-bayerische-akademie-der-schoenen-kuenste/

https://blogs.nmz.de/badblog/2019/10/23/das-ende-des-patriarchats-in-der-klassischen-musik-und-anderswo/

https://blogs.nmz.de/badblog/2019/10/30/tun-und-unterlassen-der-badsk-musikdirektion-und-trotz-kritik-aerger-ein-ausblick/
https://blogs.nmz.de/badblog/2019/10/26/oh-weltumarmender-eros-ikone-der-mauser-festschrift/

https://blogs.nmz.de/badblog/2019/10/10/trotz-bgh-urteil-konzert-mit-dr-mauser/

P.P.P.S.: Ja, wir haben es abgetippt. Da hat sich der 10-Finger-Schreibkurs 2004 zum ersten Mal gelohnt. 😏

Juana Zimmermann

Tut heute dies, morgen jenes. Morgens schlafen, nachmittags Wissenschaft betreiben, abends schreiben, nach dem Essen kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Schläfer, Wissenschaftler, Autor oder Kritiker zu werden.

2 Antworten

  1. Anno Mungen sagt:

    Herzlichen Dank für den Text des gesamten Vorworts und dessen genauer Lektüre. Sehr gelungen!

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