Darmstädter Heulkurse

Ort des Geschehens: Internationale Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt. “Ort der Utopie” – so beschreibt Theresa Beyer, diesjährige Preisträgerin des Reinhard Schulz-Preises, Ehrung für Nachwuchsschreiber, diese in ihrer Dankesrede. Doch die Stimmung unter den Musikjournalisten ist dystopisch. Die Alten erzählen den Jungen, dass sie noch die goldenen Zeiten kennen, die die Jungen nicht mehr kennen lernen werden und schwärmen von der Weimarer Republik, als man noch in den Tageszeitungen sich gehaltsästhetische Schlachten lieferte. Und in diesem Internet habe man doch noch kein Modell gefunden, mit dem man Geld verdienen könne. Die typische Zukunftsdresche muss hier nicht wiederholt werden.

Ich höre nur mimimi. #ferienkurse2016 Share on X

meep! meep! meep!

 

Als mein Bruder und ich noch klein waren, wünschte er sich, dass ich nicht Journalistin werden würde, denn er meinte, dass ich Kriegsjournalistin werde. Ich versprach es und suchte mir andere Berufsperspektiven. Doch es lief anders und ich begann – mit Einverständnis des Bruders – irgendwie doch das Schreiben, nachdem Redakteure an mich herangetreten waren. Der Journalismus stirbt aber aquiriert Leute?? Vielleicht Zufall. Aber wenn es mit dem Musikjournalismus vorbei ist, ist bedeutet es auch das Aus der Neuen Musik? Ist der Tod der schreibenden Zunft eine Vorahnung? Ist Avantgarde und Dodekaphonie einfach völlig überbewertet? Oder braucht sie nur noch PR-Abteilungen und keinen meta-über-intellektuellen Diskurs des Dr.Dr.-Bürgertums?

Das Problem sei – wie es in Diskussionen, Workshops und Gesprächen konstatiert wird –, dass der politische Wille und der geistige Hunger der Gesellschaft nach Kunst fehle. Sie fordern Kollektive und Künstler auf, sich selbst zu managen. Keiner brauche Manager und Kollektive seien per se besser als Einzelkämpfer. Die Institutionen würden nicht reflektieren und die dort beschäftigten Künstler*innen stellen sie nicht in Frage. Niemand sägt an seinem eigenen Ast.

Aber die Szene, die sich in Darmstadt trifft, ist relevant, wichtig und gut? Wo ist die Selbstkritik, die doch von allen gefordert wird? Aber an einem selber liegt es nie.

Wenn ihr doch alle nicht mehr daran glaubt, warum gebt ihr nicht auf? Warum vergebt ihr Preise an den Nachwuchs und doziert in Schreibwerkstätten? Ist es nur die Eitelkeit, um der/den einen Journalisten entdeckt zu haben, der die letzte Stelle besetzen wird. Warum die Schwarzmalerei? Warum beteiligt ihr euch nicht an kreativen Prozessen, zeigt uns Wege und Möglichkeiten? Ist es noch sinnvoll, dass die Neue Musik/ Zeitgenössische Musik eine eigene Szene ist und die Darmstädter Ferienkurse ihr Gipfeltreffen. Was wäre, wenn wir die Szene aufgeben? Aus dem behaglichen Schneckenhaus ans Tageslicht kommen? Mit Electric Indigo bei diesen Ferienkursen ist ein Anfang gemacht. Jemand, der nicht in Kontakt mit DER Neuen Musik steht, denkt beim Begriff ‚Neue Musik‘ meistens automatisch an alles, was wohl die letzten Jahre geschrieben und komponiert wurde. Warum junge DJs ausklammern, Popbands nicht einladen. Ich plädiere dafür, dass die Erwartungshaltung – eine bestimmte Ästhetik erfüllen zu müssen, um hier dazuzugehören – aufgegeben wird und wir nur noch in geil oder nicht geil einteilen.

 

Juana Zimmermann

Tut heute dies, morgen jenes. Morgens schlafen, nachmittags Wissenschaft betreiben, abends schreiben, nach dem Essen kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Schläfer, Wissenschaftler, Autor oder Kritiker zu werden.

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4 Antworten

  1. Erwartungshaltung = Killer of music that might be remotely interesting.

  2. Huflaikhan sagt:

    Ich mache in DA eine Praxis als Heulpraktiker auf …

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