#domt16 | Ein (Sc)herz für Kinder

Musikvermittlung – so ein Leib- und Magenthema von uns. (Ich mache es wie Cato der Ältere mit Karthago und plädiere einfach weiterhin bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten dafür, dass es besser Musikbegeisterung heißen sollte!)

Erlebnisbericht

Bei den Donaueschinger Musiktagen gab es 2016 zum ersten Mal ein Kinderkonzert. Wir sind stolz darauf, euch mitteilen zu können: Wir haben uns eine Teilnehmerurkunde verdient. Im akustisch sehr guten Kellergewölbe der örtlichen Musikschule spielte das aus L.A. angereiste Calder-Quartet eine Stunde lang wundervolle Musik auf höchstem Niveau: drei Sätze aus Beethoven-Quartetten, dazwischen einen Debussy-Satz und einen Teil aus einem Quartett von Anders Hillborg von 2006 (bitte merken, das wird später noch wichtig). Der erste Geiger moderierte zwischen den Musikteilen, und zwei Englischlehrerinnen übersetzten fürs Publikum – später auch vice versa die Fragen der Zuhörer zu Beethoven-Referenzen, Opuszahlen etc. pp.
Das Feedback der erwachsenen Besucher nach dem Konzert war sehr positiv: Endlich mal ein Konzert in lockerer Atmosphäre, endlich mal Erklärungen zur Musik zwischendrin!
Die etwa zehn in den ersten Reihen platzierten Kinder und Babys störten das Konzert gottseidank nur gaaaaanz selten, verhielten sich angenehm ruhig. Ich werde ein schönes Konzert im Kopf behalten.

Fangfrage

Kann sich noch jemand daran erinnern, unter welchem Titel die Veranstaltung lief?

Genau: Kinderkonzert. KINDER-konzert.

K(!)-I(!)-N(!)-D(!)-E(!)-R(!)-konzert.

Korrigiert mich gerne, aber ich stelle mir unter einem Kinderkonzert bei einem Neue-Musik-Festival (das für sich beansprucht: dem Neue-Musik-Festival) ungefähr Folgendes vor:

Musik

Das Programm besteht vor allem aus zeitgenössischen Werken, nicht nur aus “Repertoire“ plus Alibiwerk von vor zehn Jahren. Im allerbesten Fall gibt es sogar einen Kompositionsauftrag, womöglich mit interaktiven Parts, vielleicht mit Instrumentenvorstellung,… alles kann, nichts muss. (Vom Hörensagen weiß ich, dass hier in Donaueschingen wohl schon die ein oder andere Uraufführung gesichtet worden sein soll.)

Zielgruppe

Es gibt eine Altersempfehlung (ungleich: Pflicht), um tatsächlich auf einen vorhandenen Wissensstand und / oder Anspracheerwartungen aufbauen zu können. Die Übersetzungen werden nicht per Sie an die Eltern und anderen Erwachsenen gerichtet. Es kommt NICHT nach 45 Minuten der erste zaghafte Kontaktaufnahme-Versuch der Musiker (“Who knows the names of the instruments?”), der auch noch leider im Hin- und Herübersetzungswirrwarr völlig untergeht.
Ich vermute mal, dass die meisten Kinder so maximal um die zehn Jahre alt gewesen sind. In deren Lebens- und Erfahrungshorizont ist ein Werk von 2006 eben NICHT MEHR von heute, sondern von vor dem Anbeginn ihrer Zeit!
Die in der Moderation angesprochenen Rückbezüge auf Beethoven-Klaviersonaten und die komponierten Effekte (“Es soll klingen als ob ein Ton aufgenommen und rückwärts abgespielt wurde.”) wurden vorher keinesfalls demonstriert, um die Kinder (und auch die Eltern) mit auf Klangspurensuche zu nehmen. Ich bin kein Vertreter der Häppchenkultur außerhalb von Stehempfängen, aber Werkteile durch Moderationen verbunden Kinderkonzert zu nennen, empfinde ich als mindestens mutig.
Wenn man es drastisch und radikal ernst meint (wie den Rest dieses tollen Festivals), dann hätte man eigentlich uns vom Blog und die anderen Zaungäste des Raumes verweisen müssen, vielleicht sogar die Eltern. Aber so bleibt der schale Nachgeschmack, dass es sich bei diesem Kinderkonzert vielmehr um ein Konzert handelt für Eltern, die meinen, dass sie mit klassischer und Neuer Musik ihrem Nachwuchs etwas Gutes tun, sogar die Chancen auf bessere MINT-Leistungen erhöhen.

Bewerbung

Im Programmheft fast schon ein wenig verschämt versteckt unter Sonderveranstaltungen aka Ferner liefen als “Gesprächskonzert für Jugendliche”, im Spielplan im selben Heft als “Calder-Kinderkonzert” bezeichnet. Alleine das ist schon traurig.
Man könnte die Kinder (etwa als Klasse, als Jugendorchester) vorab oder danach besuchen, sich miteinander intensiver mit der Materie beschäftigen. Nicht einfach nur lieblos ein Kammerkonzert zwischen die zwei genialen Auftritte des Streichquartetts am selben und am nächsten Tag klatschen.

Fazit

Anspruch könnte doch sein: Neue-Musik-Vermitteln und neue Musikvermittlung = Frisches für die Ohren trifft ungewohnte Konzepte statt chronologische Musikperlenkette mit höchst anspruchsvollem Moderationsfaden.
Aber wenigstens ist Intendant Björn Gottstein im Abschlussgespräch mit den Teilnehmenden des Studierendenprogramms so ehrlich und bezeichnet Musikvermittlung nicht als Ziel der Donaueschinger Musiktage. Und wir fügen hinzu: Das ist dann eher Thema des Festivalkongresses UPGRADE an selber Stelle, wieder im Frühjahr 2017. Aber da ist der SWR leider kein Mitveranstalter. Wenigstens Medienpartner zum Dazulernen?

Wir sind auf jeden Fall am Start, die nächste Teilnehmerurkunde wartet.

Philipp Krechlak

Intelligent, charmant, gut aussehend, sportlich, aber vor allem eins: bescheiden. Exilschwabe, zunächst im Saarland, jetzt in der (Kur)pfalz. War naiv genug zu glauben, dass mit dem Ende des Studiums (Wirtschaftsmathe in UL, Musikmanagement in SB) und dem Arbeitsalltag (Orchestermanagement in LU, jetzt MA) der Ernst des Lebens beginnt.

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2 Antworten

  1. Das erinnert mich sehr an ein Kinderkonzert, das ich einmal in Finnland gab. Ich war von einem Neue-Musik-Festival (Time of Music) gebeten worden, speziell ein Klavier-Programm für Kinder zusammenszustellen, was ich auch gerne tat. Ich spielte vor allem Stücke, die Kindern Spaß machen sollten, mit Action, theatralischen Aktionen und Baseballhandschuhen. Das Ganze fand dann in einer Art Turnhalle statt, aber als ich auf die Bühne trat, sah ich….KEIN EINZIGES KIND! Alleine finnische Neue-Musik-Fuzzis mit Bart und Rollkragenpullover starrten mich aus leeren Augen an. Ich zog mein Programm ab, was die anwesenden Erwachsenen natürlich langweilte, denn es war ja speziell für ganz kleine Kinder intendiert. Es war eine sehr skurrile Erfahrung, vielleicht eines der doofsten Konzerte, die ich je gespielt hatte, da im Publikum nicht die geringste Freude aufkam. Es herrschte einfach nur lähmendes Schweigen. Da keine Kinder anwesend waren, konnte ich diese natürlich nicht einbeziehen, was ich durchaus vorgehabt hatte.
    Später sagte mir dann der Festivalleiter, dass man dieses Konzert nur „Kinderkonzert“ genannt hatte, um an bestimmte Fördergelder zu kommen.
    Hätte man mir ja mal sagen können.

    • Philipp Krechlak sagt:

      DAS! … ist traurig. ABer vielleicht hast du „Kinderkonzert“ auch einfach nur falsch verstanden. Etwa so wie Kinderdöner: Da ist ja auch kein einziges Kind drin *höhö*

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