Unbefriedigend reloaded

Besonders ärgerlich sind Momente des unbefriedigenden Mittelmaßes dann, wenn dafür Zeit, Aufwand und Geld in die Hand genommen wurde, wie beispielsweise bei einer musikalischen Aufführung. Dort bleibt einem dann nur die Wahl zwischen Ertragen oder Gehen. Bei letzterer Option muss man es dazu noch hinbekommen, dass die Geste des Rausgehens nicht als ‘Ich bin empört’, sondern als ‘Lasst mal gut sein, Leute’ verstanden wird.

Über solche Aufführungen berichte ich nicht – bis auf vielleicht 1–2 bissige Tweets ohne Namensnennung. Ich erspare mir, mich tagelang über eine Aufführung zu ärgern und den Veranstalter*innen erspart es peinliche Presse. (Anders verhält es sich natürlich, wenn ich von einer Zeitung explizit zum Berichten hingeschickt wurde oder etwas wirklich Schlimmes passiert ist, über das man reden sollte.) Die Pressestelle hat in dem Fall, um den es hier gehen soll, jedoch explizit die Bedingung gestellt, dass eine Pressekarte nur gegen Bericht zu haben sei. Sie können mir letztlich nichts vorschreiben, aber ich nehme es zum Anlass darüber zu schreiben, was mich schon länger beschäftigt.

Das alte Dilemma einer Kritikerin: Man fand die Aufführung schlecht, aber dem Publikum gefiel es. Es sind nicht die mittelmäßigen Aufführungen selbst – denn sowas kann passieren und ist möglicherweise der Tagesform der Beteiligten geschuldet –, sondern es sind der Jubel, die Standing Ovations und die Freude über Zugaben nach solchen Abenden, die mich völlig ratlos lassen, während ich erstarrt vor Scham gegen Decke, Boden und Wand gleichzeitig starre. Ich spreche dem Publikum nicht das Recht ab, dass sie etwas feiern, wenn sie den Drang dazu verspüren. Ein höfliches Applaudieren hätte ich mir vielleicht auch abgerungen und wäre mit dem Publikum einverstanden gewesen, dass man die Sache zu Ende bringt, wozu aus nicht optionalen gesellschaftlichen Konventionen eben Klatschen gehört. Natürlich mache ich mir selbst den Vorwurf: “Das war bestimmt nicht für dich Musiknerd*esse gedacht. Sei mal nicht so arrogant.”

By Template:Creatory:Karl Friedrich Schinkel [Public domain], via Wikimedia Commons

Eines solcher Erlebnisse hatte ich in jüngster Zeit in Würzburg. Mozarts Zauberflöte war auf die wichtigsten Szenen zusammengestrichen (was ich von der Idee super fand), die “lustigen” Papageno-Szenen wurden zu Rap/HipHop-Szenen mit Breakdance, das Orchester saß auf einem nur halb heruntergefahrenen Graben und der Dirigent und künstlerische Leiter gab einem vorab das Okay für Zwischenapplaus, was auch ausgiebig genutzt wurde, und das Ganze nannte sich: “Zauberflöte reloaded”. Alle haben (vergeblich) ihr bestes versucht. Und so sah nicht nur ich das. Die Kinder (ca. 10 Jahre alt), die hinter mir saßen, stöhnten jedes Mal, wenn eine Arie begann. Trotzdem standen auch sie klatschend am Ende, wie alle anderen auch im Raum.

Ist das erfolgreiche Musikvermittlung? Das Publikum hat Mozart gehört, hatte einen launigen Abend und womöglich auch die Ideen der Oper verstanden. (Obwohl ich dann eher Disney’s Frozen empfehle, ein wundervoller Film mit wirklich guten Ideen und Idealen, die aktuell sind. Was sollen Kinder mit freimaurerischen Idealen?)

Und dann kommen in mir Stichworte wie ‘adorno’, ‘kulturindustrie’, ‘kunst als ware’, ‘aura’, ‘authentizität’ und ‘fetischismus’ hoch. Doch auch das bringt mich zu keiner befriedigenden Lösung. Adorno schreibt, dass dem Menschen das Konzert nur gefallen würde, weil er dafür Geld bezahlt hat. Also der Wert der Vorstellung sich durch den Kauf den Zutritts ergibt, unabhängig von der Qualität der Aufführung. Und da ich eine kostenfreie Pressekarte hatte, könnte man schlussfolgern, fällt mein Urteil womöglich dadurch auch schlechter aus. Ich glaube, diese Art der Argumentation taugt für mein Problem nicht, denn ich habe auch gegenteilige Erfahrungen gesammelt. Und wenn ich noch mehr Adorno und Co lese, werde ich mich womöglich in guter Gesellschaft wiegen, aber werde nicht klüger sein. Ferner werden mir Absätze über Adorno eh gestrichen, sodass ich sie erst gar nicht schreiben muss (#RKzensur #lügenkresse).

Unabhängig davon, dass ich es nicht könnte, will ich solche “Kunst” auch  nicht verbieten #kant #vernunft #unmündigkeit #freiheit. Und es würde auch nichts ändern. Denn die Menschen würden wohl nicht aus Ermangelung an Alternativen sich Marx, Butler oder Bachmann zu Gemüte führen, sondern stattdessen Netflix oder Tinder finden.

Aber ich frage mich trotzdem, ob es nicht einen naiven Kompass in uns allen gibt, der uns sagt, was gut und schlecht ist. Denn zwischen all dem Murks und der Peinlichkeit gab es zwei Tänzer auf der Bühne, denen ich so gerne zuschaute, und auch Sarastro war nett und schön anzuhören.


Und damit die Presseabteilung es auch in ihre Pressemappe legen kann: Es ging hier um Zauberflöte reloaded von Christoph Hagel im Rahmen des Mozartfestes Würzburg 2018.

“Lustiges” Video: Trailer Zauberflöte reloaded | Oper, Hip-Hop, Rap https://www.youtube.com/watch?v=y4oyLnKvPOY

Und die beiden Tänzer, die trotz allem, so toll waren, nennen sich HotPotatoes. Liked ihre FB-Seite! https://www.facebook.com/pg/HotPotatoesOfficial/videos/?ref=page_internal)

P.S.: Was ich mir trotzdem wünsche: Wenn Kulturveranstalter*innen schon so einen kommerziellen Kulturwarenfetisch machen, sollte es nicht unter #kunst laufen und vor allem trotzdem gut gemacht sein. Keiner der Beteiligten sollte sich dafür schämen, was er da macht.

Juana Zimmermann

Tut heute dies, morgen jenes. Morgens schlafen, nachmittags Wissenschaft betreiben, abends schreiben, nach dem Essen kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Schläfer, Wissenschaftler, Autor oder Kritiker zu werden.

Das könnte dich auch interessieren …

Eine Antwort

  1. Wolfgang Bender sagt:

    Die Kritikerin bezeichnet die Aufführung als „Murks“ und „Peinlichkeit“. Wenn man sich entschliesst oder sich als gezwungen gefühlt wegen einer Pressekarte, einen Beitrag über eine Aufführung zu schreiben sollte man sich nicht selbst auf das unterste Niveau eines Kommentars begeben: Diese Beschreibung ist journalistisch nichts anderes als Murks und Peinlichkeit.
    Die Kritikerin ist befremdet über die Standing Ovations und die Freude des Publikums über die Aufführung und schämt sich (für das Publikum), weil es so extrem schlecht gewesen ist.
    Nun möchte ich als Leser und als Musiker dieser Aufführung gern wissen: Was war denn so schlecht?
    Im ganzen Text gibt es nicht einen relevanten Kommentar, ausser das sie es als „kommerziellen Kulturwarenfetisch“ ansieht. Und das auch nur im P.S.
    Kommerziell verstehe ich, auch die Kritik an einer Kommerzialisierung einer Mozart Oper kann ich nachvollziehen. „Kulturwarenfetisch“ hätte ich gern erklärt…
    Dann schreibt sie: nicht nur sie fand es schlecht, sondern auch die 10 jährigen Kinder hinter ihr, die bei jeder Arie gestöhnt hätten. Diese Kinder haben anscheinend noch nie Klassische Musik gehört oder verabscheuen sie. Diese Kinder als Kriterium anzubringen ist lächerlich.
    Später kommt noch Geschwafel über Adorno und nach dem Lesen des Textes fragt man sich, warum diese „Kritikerin“ überhaupt den Laptop für einen Kommentar über eine Kulturveranstaltung aufklappt. Und welches Medium dann einen solchen inhaltslosen Beitrag anbietet.
    Leider wieder ein Beispiel für die extreme Niveaulosigkeit des Netzes.
    Denn es steht über diese Aufführung nichts darin. Null Inhalt.
    Aber schlecht war es, das bleibt festzuhalten!
    Noch mal: Ich wüsste gern, was schlecht war! Das wäre spannend, denn man könnte damit auch Korrekturen hervorrufen, man könnte damit etwas anfangen oder auch nicht.
    Aber NICHTS zu schreiben ausser dass es peinlich war, ist armselig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.