Weihnachtssinfonie Nr. 1 in vier Kaufhäusern – Ein Selbstversuch
Leider sind unsere Blog-Richtlinien in Sachen Tierversuche sehr strikt. Daher blieb mir nichts anderes übrig als höchstpersönlich Feldforschung zu betreiben und das kleine Experiment am eigenen Körper durchzuführen:
An einem Adventsamstag wagte ich mich in eine Einkaufszone in einer x-beliebigen deutschen Stadt. Nennen wir sie der Einfachheit halber Saarbrücken. Ziel: wie klingt Weihnachten in unseren Konsumtempeln?
1. Satz: Karstadt. Dezent im Hintergrund. Werbeunterbrechungen attaca
Der Platz, an dem man vor Weihnachten garantiert nicht sein sollte. Menschenmassen im Kaufrausch fließen zäh durch den Eingang und wühlen in den Auslagen nach dem nächsten völlig überflüssigen Weihnachtsgeschenk. Ich muss mich dem Tempo anpassen. Mein Plan, das alles sehr schnell hinter mich zu bringen, zerschellt am Rückstau vor der Rolltreppe. Irgendwo zwischen Hanteln und Hullahoop-Reifen finde ich eine halbwegs ruhige Ecke, in der das Geplärre aus den akustisch unterirdischen Deckenlautsprechern einigermaßen zu hören ist. Shazam versagt trotzdem. Die Musik wird hier nur dazu verwendet, dass es nie ganz still wird. Für diesen Zweck aber ist die Lückenbüßer-Playlist bestens bestückt: Eine belanglose Popnummer nach der anderen, anhand von ein paar Textfetzen finde ich später raus, dass auch Colbie Caillat mit Christmas In The Sand lief. Ahja.
Plötzlich scheppert mich eine hauseigene Werbeansage an: Ich könnte heute bis 24 Uhr hier bleiben zum Einkaufen. Bloß weg hier.
2. Satz:
Peek & Cloppenburg. Blechern, aber classy.
Den Lautstärke-Contest gewinnt eindeutig P&C. Direkt im Eingangsbereich scheppert mir ein Kinderchor eine auf poppig gemachte Version von The First Noel entgegen, unterbrochen nur von einem an Belanglosigkeit nicht zu überbietenden Saxophon-Solo. Man scheint stolz auf die hauseigene Weihnachtsmusik-Tradition zu sein: alles was die Klischeekiste zu American Christmas hergibt, wird hier in Dosentelefon-Akustik laut plärrend zelebriert. Nach zwei Modehaus-Klassikern – einer unidentifizierbaren Rock-alike-Nummer und New Shoes (sic!) von Paolo Nutini – werden zum Satzfinale noch einmal mit Röhrenglocken, einem dauerböllernden Tamburin und einem Background-Chor alle Register gezogen für ein Werbe-Weihnachten in bester Coca Cola Manier.
Zwischenspiel: Starbucks. Ruhig. Mit Atemaussetzern.
Wenn schon, denn schon. Der Kaffeeladen ohne richtigen Kaffee gehört zu meiner Weihnachts-Shopping-(Tor)tour dazu. Da kann man nicht einfach mal so in ein schnuckeliges Café mit selbstgebackenem Kuchen gehen. Nein, volle Kommerzdröhnung!
Die Musik soll zum Verweilen einladen, ein Ruhepol in der Hektik vor der Glasfront sein. Jazzy tunes bringen mich fast dazu, zu meinem nicht vorhandenen MacBook einen „Weihnachtsklassiker“ wie die Lebkuchen Latte oder die Honey & Almond Hot Chocolate zu kaufen, doch gerade noch rechtzeitig schaffe ich es, der gefakten Sonntag-Nachmittag-Stimmung zu entfleuchen und bestelle mir was von der Filterplörre. Heißt zwar auch Christmas Blend, aber einen Tod muss man eben sterben. „Leider“ kann ich nur noch den letzten Song nachvollziehen, irgendein irrelevantes Cover von Winter Wonderland (Holgers Tipp: Heidi Klums in Barbie-Plastik gegossener Beweis, dass sie nicht singen kann), mit sphärischen Keyboard-Liegeakkorden und einem synthetisch schlecht reproduzierten Bläsersatz. Dafür habe ich bei meiner nachträglichen Internetrecherche ein Schmankerl gefunden, dass ich euch nicht vorenthalten will: achtet auf das subtil eingewobene Product Placement. 😉
3. Satz: Galeria Kaufhof. Festliches Gesäusel.
Wieder nach dem Motto „Bloß nie absolute Stille. Sonst kommen die Leute eventuell noch auf den blöden Gedanken, ohne was zu kaufen zu gehen.“ Ich setze mich in eine dieser Sitzecken zum Männer parken. Hier finde ich Ruhe und inneren Frie… Britney Spears fängt an, Santa Can You Hear Me? zu jammern.
Da war die austauschbare Popschnulze von grade eben noch Balsam für die Ohren. Ich werde zum ersten Mal heute gefragt, ob man mir behilflich sein kann. Schaue ich schon soo verzweifelt aus? Ich muss hier raus. Beim Gehen schnappe ich noch die Textzeile „I always dreamed of disaster“ auf. Klingt nach Lana Del Rey im Engelskostüm. Ich soll Recht behalten.
4. Satz: H&M. War Weihnachten nicht schon letztes Jahr?
In Sinfonien ist der letzte Satz meistens das große Finale. Da wird nochmal alles aufgefahren. Es wird wild, schnell und sogar die Blechbläser dürfen mitspielen, wenn sie rechtzeitig aufwachen. Oft wird auch thematisches Material aus den vorangegangenen Sätzen wieder aufgenommen.
Laut ist es im H&M allemal. Von den restlichen Anzeichen aber (leider?) völlige Fehlanzeige. H&M scheint als vernachlässigte Zielgruppe Atheisten ausgemacht zu haben – mit schlechtem Musikgeschmack. Ich und dieses Internet haben keine Ahnung, was wir mit Textfetzen wie „Who is gonna save me?“ oder „I feel you’re disconnecting“ anfangen sollen… Immerhin kennen wir „Baby Don’t Lie“. Aber da wäre eine alte No Doubt Nummer schon geiler gewesen als dieses mit indigenem Synthie-Gejaule angereicherten Hip-Pop-Gedüdel.
tl; dr? www.amazon.de
🙂