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Quasthoff

Sie ist in noch unscheinbarerem Schwarz gekleidet als die anderen beiden. Sie hat keine schlechte, sondern NULL Bühnenpräsenz. Dennoch: Sie wirkt konzentriert, fokussiert auf ihre Aufgabe. Genau zwölf Mal steht sie auf während 50 langer Minuten, beugt sich vor zum Klavierpult und wartet auf das Nicken. Dann blättert sie um.

Der Schlussapplaus gilt nicht ihr. Sie hält sich bescheiden im Hintergrund. Das erste Abgehen der anderen macht sie in dezent-respektvollem Abstand mit, aber auf ihr erneutes Auftreten warte ich vergebens.

Sie hat dafür gesorgt, dass wir die Musik ohne Unterbrechungen genießen konnten. Nicht mehr, aber definitiv auch nicht weniger.

Foto: studio visuell photography

Was die Kultur-Lügenpresse berichtet hätte – so oder so ähnlich oder in Wahrheit eigentlich völlig anders:

Thomas Quasthoff gibt einen Liederabend. Bloß nicht abends. Und genau genommen präsentiert er mit seinem Liedbegleiter auch keine Lieder. Er singt keinen einzigen Ton.

Darauf weist er zu Beginn des Konzerts im Theater Heidelberg extra hin trotz Hinweis im Gesamtprogramm des Heidelberger Frühling, und die zweite Hälfte startet er mit einer Anekdote von den beiden älteren Damen, die in der Pause entrüstet gegangen sind. Augenzwinkernd gibt er den Tipp, die Hörgeräte doch bitte feinzujustieren. Dank professioneller Vorbereitung ist das für uns natürlich überhaupt keine Überraschung. 🙄

Die beiden Künstler führen sogenannte Melodramen auf: Gedichte, die nachträglich mit Klaviermusik unterlegt und ausgestaltet sind, während der Text nicht gesungen wird wie sonst üblich beim Kunstlied, sondern schlicht rezitiert wird. Quasthoffs Sprechstimme hört man die Gesangserfahrung an: Warm, sonor und reich an Klangfarben trägt er vor. Bass- und höhere Register schwingen gut ausbalanciert mit. Es ist äußerst angenehm, ihm zuzuhören und den kleinen, wehmütigen, teils gruseligen, teils fast schon kitschig schönen Geschichten zu folgen – nur manchmal ist das Klavier ein klein wenig zu dominant.
Sein Liedbegleiter Justus Zeyen ist gefordert. Er meistert die Ausgestaltung des Erzählgeschehens vortrefflich. Passender für seine hervorgehobene Rolle wäre eher der Begriff Liedpianist, aber das ist eine andere Geschichte…

Alles in allem ein super Konzert der beiden Ausnahmekünstler!

Philipp Krechlak

Intelligent, charmant, gut aussehend, sportlich, aber vor allem eins: bescheiden. Exilschwabe, zunächst im Saarland, jetzt in der (Kur)pfalz. War naiv genug zu glauben, dass mit dem Ende des Studiums (Wirtschaftsmathe in UL, Musikmanagement in SB) und dem Arbeitsalltag (Orchestermanagement in LU, jetzt MA) der Ernst des Lebens beginnt.

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