Der Neunte von Weselsky
Die Wiederaufnahme von „Bahnstreik“ seitens der GDL ist vermutlich dem Erfolg der vorangegangenen Veranstaltungen zu verdanken. Anders als zur Premiere hat sich der kreative Leiter Claus Weselsky dieses Mal zu einer bahnbrechenden Neuerung entschieden: Die jahrelange Tradition der zeitlichen Begrenzung wurde neu gedacht. Die Teilnehmer kennen zwar die Anfangs- jedoch nicht die Endzeit der Performance. Damit gesellt er sich in den erhabenen Kreis der Befürworter des „Sitzfleisch“-Gedankens, welcher in dieser Deutlichkeit nur noch von den Bayreuther Festspielen zelebriert wird.
Mittels Endlosigkeit kommentiert der „Bahnstreik“ den verschwundenen Feierabend, welcher durch die Globalisierung und das Internet im modernen Arbeitsleben keinen Platz mehr kennt.
Der 9. „Bahnstreik“ erweitert die Gattung damit in einem Maße, die wohl nur mit Beethovens 9. Sinfonie – durch die Integration eines Chores in die Gattung der Sinfonie – vergleichbar ist. Ganz im Geiste Beethovens könnte dies die letzte Aufführung sein.
Weselsky ist ein großer Freund des partizipatorischen Gedankens: Sein Publikum ist nie nur passiver Rezipient. Er drängt zwingt die Zuschauer dazu, ein aktiver Teil der „Performance“ zu werden. Selbst die als schwer zu motivieren geltenden Jugendlichen kann Weselsky zu Eigeninitiative, Leidenschaft und kritischem Bewusstsein bewegen.
Dieser Drang kontrapunktiert das Thema im „Bahnstreik“, denn: Stillstand ist das eiserne Leitmotiv des „Bahnstreik“.
Weselskys Ensemble versteht, es diese Prämisse authentisch umzusetzen. Dadurch setzt im Publikum ein gedanklicher Prozess ein, infolgedessen das Publikum dieses Thema variiert, um neue Wege und Bahnen zu finden, die den privaten Stillstand aufbrechen.
„Bahnstreik“ ist für mich eines der bedeutendsten Werke des jungen politischen Theaters.
Schnell hingehen, bevor die Bahnerben die Inszenierung verbieten!
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Jetzt auch als Hörblog, vorgelesen von der U-Bahn:
wunderbar!
Claus Weselsky ist überdies einer der wenigen Theaterschaffenden, die der Versuchung, „zu gefallen“ – und sei es auch nur dem kleinen Kreis des Kunst-Establishments – konsequent widersteht. In Zeiten, wo Calixto Bieito von der Presse bejubelt wird, Frank Castorf Huldigungen auf sein Lebenswerk bekommt und Schlingensief schon lange als Klassiker gilt, braucht es solche unangepassten, sperrigen Inszenierungen umso mehr!
Danke! Sie haben vollkommen recht. Wir freuen uns bereits auf die Wiederaufnahme.