Pre-Concert-Esoterik und andere Katastrophen

„Eigentlich war ich jahrelang als Grafiker tätig – bis ich meine wahre Berufung erkannte und Coach und Lebensberater wurde und auch ein bisschen hypnotisiere.“

„Ich verschreibe Ihnen nur einen gaaaaaaanz leichten Betablocker. Das ist wirklich kein Problem, den können Sie einfach nach Bedarf einnehmen.“

„Bachblüten – Notfalltropfen? Sie können natürlich auch einfach Leitungswasser trinken. Ist genauso wirkungsvoll, aber viel billiger!“

“Vor dem Auftritt solltest du einfach deine Motivationssätze einklopfen!”

(Aus: „Die fabelhaften und unglaublichen Tagebücher der Laura W.)

 

Viele haben es, kaum einer spricht davon, – ist ja auch nicht so richtig cool, mal eine vermeintliche Schwäche zuzugeben, vor allem im Probespiel-Zirkus -, aber so mancher traut sich, darüber zu schreiben (zum Beispiel hier oder auch hier): Lampenfieber und Auftrittsangst bei Profimusikern.
Kurz zu den beiden Begriffen, wie ich sie verwende:

Lampenfieber ist eher so: „Oh fuck, jetzt geht’s gleich los. Das könnte jetzt auch gewaltig in die Hose gehen, aber das Kind schaukle ich schon – und am Ende feiern mich garantiert ALLE! Also los!“

Auftrittsangst: „OHFUCKACHDUSCHEISSENEEEEEEEIN! Ich stelle mich einfach so lange tot, bis es vorbei ist.“

 

Als ich mich das erste Mal mit dem Thema beschäftigen musste, war ich zarte 16 Jahre alt und  hatte ein katastrophales Jugend-musiziert-Erlebnis hinter mir – trotz gründlicher Vorbereitung erlebte ich einen Totalausfall jeglicher Kontrollmechanismen im Wertungsspiel. Die Tränen hatten danach – wie für ein Mädchen in der Pubertät üblich – dramatische Ausmaße.
Leider blieb es erst mal nicht nur bei diesem einen Erlebnis. Es folgte eine ganze Serie von Katastrophenkonzerten. Und so stellte sich mir plötzlich eine große Frage: „Meine Güte. Bin ich etwa krank oder einfach schon verrückt?“

Bis ich die Antwort darauf fand, erlebte ich allerhand abenteuerliche Dinge. Vorab: Nö, ich bin nicht verrückt. Und krank schon gar nicht.
Ich besuchte einige Workshops, die gewisse Ähnlichkeiten mit Selbsthilfegruppen aus Klischee-beladenen amerikanischen Filmen hatten, klopfte an diversen Stellen meines Körpers herum und machte seltsame Erfahrungen mit Menschen, die mir Betablocker ans Herz legten. Außerdem schlief ich regelmäßig in meinem VHS-Kurs „Autogenes Training“ ein. (Mit Schnarchen!!!) Ich traf also einen ganzen Haufen spezieller Menschen, die alle grandiose Ideen hatten, die meistens darauf abzielten, mir eine unverschämt hohe Summe Geld aus der Tasche zu ziehen. (Zum Glück habe ich Fuchs das immer relativ schnell erkannt.)

Mein nicht-musikalisches Umfeld reagierte übrigens eher mit Erstaunen und Unverständnis auf meine Geschichte. „Wie? Du hast Angst vor dem Konzert? Und du bereitest dich trotzdem auf Eignungsprüfungen vor?! Lass das doch einfach sein, dann ist die Nervosität auch kein Problem mehr.“ (Nunja, ein Kind, dem nach übermäßigem Naschen schlecht ist, und das davon Bauchschmerzen hat, wird in Zukunft auch nicht die Finger von Schokolade lassen…und von Erwachsenen und Beziehungen fange ich hier erst gar nicht an.)

 

Jede schöne Geschichte braucht ein Happy End. Hier ist meines: Ein sehr kluger Mann verriet mir das große Geheimnis, mit dem ich wieder glücklich wurde: Angst programmiert man sich selber. Lange vor dem Konzert.
Mit diesem scheinbar sehr exklusiven Wissen begann ich also zu arbeiten. Ich prüfte meine Übegewohnheiten genau auf ihre Erfolgsorientiertheit, krempelte sie gewaltig um und hörte auf, mich selbst im Überaum für ausbleibende Leistung zu geißeln.
Übrigens: Man kann auch seeeehr viel Zeit im Überaum und mit dem Instrument verbringen, ohne irgendetwas Sinnvolles getan zu haben. Wer mir nicht glaubt, den lade ich ganz herzlich zu einer Feldstudie an eine Musikhochschule seiner Wahl ein. (Ein Gruß an meine Kommilitonen: In FB online sein, Kaffee trinken und herumquatschen oder diesen Artikel hier lesen, zählt nicht als Üben, auch wenn es im Überaum stattfindet! Geht dazu doch VERDAMMT NOCHMAL in die Cafeteria!!!)

Seitdem machen – natürlich vöööllig überraschend – das Üben und die Konzerte wieder Spaß. Ganz ohne großes Spektakel. Und mein Studium liebe ich einfach. (So von Anfang bis Ende, auch wenn man mich regelmäßig sehr laut und ein wenig ungehobelt darüber schimpfen hört).

Nur die Bachblütentropfen nehme ich immer noch ab und an – was nicht wirkt, kann ja nicht schaden – und das Zeug muss einfach weg. War zu teuer, um es einfach in den Ausguss zu schütten!

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