Viele Ringe verderben den Ring

Foto: Enrico Nawrath

Gemeinsam einen Ring in der Galerie des Bayreuther Festspielhauses zu erleben, das schweißt Menschen zusammen. 16 Stunden kollektiv im Wagner-Tunnel zu sein, bei mehr als 36 Grad, dazu auf vielen Plätzen mit Sichteinschränkung, kann aber auch ziemlich wütend und streitlustig machen.

So geschehen nach der Bayreuther Götterdämmerungs-Premiere: Im samtblauen Abendkleid gestikuliert eine Festspielbesucherin mit einem enormen Fächer. Ihr Gesicht wird puterrot, und sie blafft zwei Männer in der Reihe hinter sich an: „Schämt euch! – Das könnt ihr doch nicht machen! – Das gehört sich nicht! – Die haben immerhin 16 Stunden Musik inszeniert! – Schämt euch!“ Die beiden Männer, waschechte Wagnerianer in ihren graumelierten Sechzigern und feinem Zwirn, scheinen von diesem Einwand nicht überzeugt. Im Gegenteil, sie sind motiviert, ihre Verachtung für diese Regie jetzt mit noch lauteren Buh-Rufen auszudrücken. Ihren Protest gibt die Besucherin zwar schnell auf, inmitten der riesigen Buh-Dusche für Regisseur Valentin Schwarz und sein Team. Bis zum finalen Vorhang aber schüttelt sie den Kopf und verbleibt als Letzte in der Galerie.

Kein Bayreuth ohne Buh-Sturm

Natürlich ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass das Regie-Team einer Neuproduktion in Bayreuth ausgebuht wird, und die Klatsche nach dieser Götterdämmerung war auch erwartbar – spätestens nach dem Siegfried, eigentlich bereits nach der Walküre war klar, dass diese Ring-Inszenierung kaum noch stimmig und rund werden konnte. Die Wucht des Publikumsprotests war aber doch überraschend. Selbst Sänger*innen und Dirigent bekamen in diesem Gefecht Regie-Buhs ab. Ganz im Unrecht war die Galeriebesucherin nicht: Was Valentin Schwarz auf die Bayreuther Bühne gestellt hat, war sicherlich kein besonders gelungener Ring – aber durchaus ambitioniertes, hart erarbeitetes Musiktheater.

Die Wotan’sche Sippe ist hier eine einzige Großfamilie, eine Art Milliardärs-Clan. Der Schatz auf dem Grund des Rheines sind bei Schwarz unsere Nachkommen, zugleich unsere Verantwortung und Zukunft. Aber ausgerechnet ein kindlicher Hagen wird zum Ring im Rheingold und der Walküre auserkoren. Geraubt vom unfruchtbaren Alberich, der von Zwillingsbruder Wotan im Mutterleib mit einem Tritt um seine Zeugungsfähigkeit gebracht wurde, trägt die Idee nur so lange, bis Hagen später selbst nach dem Ring giert. Ein neuer Ring muss her, spätestens in der Götterdämmerung. Ein neues Kind, den nächsten Reif, bringen dann Siegfried und Brünnhilde ins Spiel. Die grundlegenden Fragen – Wer oder was ist hier gerade der Ring? Was motiviert welche Figuren zu welchen Taten? – kann man sich meist noch zusammenreimen, aber auf der kleineren Ebene funktioniert die Großfamilien-Dystopie irgendwann nicht mehr. Mal muss man in der hyperrealistischen Lesart den Wagner’schen Text über 20 Minuten ausblenden, mal muss man ihn ganz direkt und wörtlich nehmen, um dabei zu bleiben und mitzukommen. Zudem sind die meisten Requisiten zu klein, um sie überhaupt zu erkennen – geschweige denn, zu deuten. Das sind handwerkliche Fehler, die man hätte vermeiden können, ganz unabhängig vom Ansatz der Inszenierung.

Einmal in die Werkstatt, bitte!

Im konsequenten Verzicht auf die magischen Momente des Rings ergibt sich eine weitere Schwäche dieser Inszenierung: Während bei Wagner viele Objekte noch konkrete Bedeutungen haben – Nothung etwa ist ein Schwert –, ist bei Schwarz alles Übernatürliche wandelbar: Nothung ist erst Pistole, dann Krücke, dann letztlich doch wieder ein Schwert. So ein postmodernes Anything goes wäre erstmal nicht schlimm – im Gegenteil! –, würden diese Requisiten nicht in unübersichtlich-hektischen Aktionen noch mit weiteren Handlungssträngen und Personen verknüpft. Streckenweise lässt man sich ein auf diese Gedankenspiele und die konstanten Kippfiguren von Valentin Schwarz, über vier Abende jedoch nicht. Dieser Inszenierung wünscht man für die nächsten Jahre vor allem einen ordentlichen Lektor, der einmal mit kritisch-distanziertem Blick auf die Patchwork-Geschichte schaut und unnötige Seitenstränge aus der Story tilgt – immerhin läuft die Inszenierung noch bis 2025. Was die Buh-Stürme am Ende dieses Premieren-Zyklus sicher ebenfalls befeuert hat: Den meisten Figuren fehlt es überhaupt und grundsätzlich an Momenten der Wärme und Empathie. Alle sind böse, eitel oder selbstbezogen; leiden kann man als Publikum niemanden.

Die Generalabrechnung richtete sich klar gegen das Team um Valentin Schwarz, seinen Bühnenbildner Andrea Cozzi und Kostümbildner Andy Besuch. Die entrüstete Festspielbesucherin in der Galerie störte dabei wohl, dass das Publikum im kollektiven und absoluten Protest auch über das Kernteam hinausgewiesen hat, und damit (wenn auch indirekt) auch die weiteren Beteiligten des Hauses trifft: das Kostüm- und Maskenbild, die Beleuchtung, die Bühnentechnik etc. – Klar, dort wird nach Vorgaben des Regie-Teams gearbeitet, und man könnte sagen: Nach drei Jahren harter Arbeit an vier Produktionen wünscht man denen einen Buh-Sturm in erträglichen Ausmaßen. Für Kunst gab es aber bekanntlich noch nie Teilnehmerurkunden, und erst recht nicht in Bayreuth. Bei den Bundesjugendspielen heißt es: „Pädagogisch sinnvoll ist eine Berücksichtigung der Ergebnisse bei einer Leistungssteigerung.“ Das ist schon ziemlich makaber, aber das könnten sich Schwarz und sein Publikum im nächsten Jahr trotzdem zu Herzen nehmen. Denn eine Sieger- oder Ehrenurkunde hat der Bayreuther Ring 2022 schlichtweg nicht verdient.

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