Was macht eine Musikstudentin in den Ferien?
Genau: An ihrer Karriere als Klassik-Szene-It-Girl feilen (hören und gehört werden). Also Koffer gepackt und ab nach Madrid, zum ClarinetFest der Internationalen Klarinettengesellschaft.
Ja, ich weiß: Das klingt jetzt nach einer Zusammenkunft von 15 Nerds, die sich in einem schlecht beleuchteten Kellerraum zusammentun, um in ihre Tröten zu blasen. Nun ja – es waren eher 1500 Nerds, und der Kellerraum waren 4 Konzertsäle, in denen man sich 12 Stunden am Tag mit Musik aller Art, Vorträgen und Meisterkursen berieseln lassen konnte, und eine Ausstellungsfläche, auf der 12576523 Klarinettisten gleichzeitig fancy Klarinettenkrempel ausprobieren durften (vergleichbares Klangerlebnis: Vuvuzela-Konzert bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2010).
Das musikalische Überangebot führte bei mir persönlich allerdings schnell zu seltsamen Marotten: Ich verlegte meinen Mittagsschlaf in den Konzertsaal – vor lauter Angst davor, etwas EINMALIGES und SPEKTAKULÄRES zu verpassen (ich ungehobeltes Stück). Außerdem entwickelte ich einen ausgeprägten Mitschreib-Zwang, um später eventuelle Erinnerungslücken aus Musikrausch-Filmrissen wieder rekonstruieren zu können. (Liebe madrider Musiker: Alles Hoffen und Bangen war umsonst. Ich bin KEINE suuuperwichtige Musikkritikerin.)
Außerdem führte ich ganz persönliche Studien zum Verhalten von Klarinettisten auf Bühnen im internationalen Vergleich durch (nicht ganz repräsentativ). Meine Forschung ergab: In Spanien erkennt man einen besonders tollen Klarinetten-Solisten daran, dass er am Ende eines Stückes einen extrem hohen Ton hinzukomponiert, diesen dann mindesten 5 Minuten aushält, dabei verklärt in die Luft blickt (der berühmte „Jizz in my Pants“-Blick), und natürlich die Klarinette senkrecht über seinen Kopf reisst.
Außerdem muss JEDER international berühmte Musiker nach möglichst jedem Ton ausgiebig seinen Sponsoren und seinem Instrumentenbauer danken und dafür sorgen, dass dieser Dank auch in seinem Lebenslauf sowie unter jedem Konzertprogramm zu lesen ist.
Ich muss zugeben: Die Sponsoren trugen schon entscheidend zum Gelingen der Veranstaltung bei. Aber braucht man wirklich eine Sponsoren-Logo-Fotowand? Und: Ist es nicht übertrieben, an seinem Stand Menschen mit seinem Logo als Abwasch-Tattoo zu verschönern (true story!)?
Das ClarinetFest war tatsächlich so kurios, wie man es von so einer Veranstaltung erwarten mag. Aber auch wundervoll inspirierend. Deshalb erzählt euch die Kindertante Laura auch gerne noch ihre Lieblingsgeschichten von einer Woche ClarinetFest:
Konzert zu Ehren eines berühmten Bassklarinetten-Pioniers. Er ist Mitte 60 und sitzt mit seiner Frau genau vo:r meiner Nase.
Moderation, die besonders seine Rolle als LEGENDE der Bassklarinette betont.
Der erste Ton wird gespielt.
Ein Handy beginnt zu klingeln. Laut. Das Handy des Widmungsträgers.
Statt es auszuschalten, versuchen seine Frau und er mit akrobatischen Nummern das Handy so unter sich zu begraben, dass man das Klingeln nicht hört. (Ohne Erfolg.)
Am Ende des Stücks dreht er sich fluchend zu mir um und entschuldigt sich: Das Mobiltelefon ist neu und er könne es noch nicht bedienen. Aber er hoffe, dass niemand das Klingeln bemerkt habe. („Neinnein, das hat überhaupt gar kein Mensch gemerkt! Jaja, ganz sicher!“)
Wo ich schon bei Handygeschichten bin:
Recital. Am Ende eines Stückes beginnt ein Handy laut zu klingeln. Es klingelt. Und klingelt. Und klingelt immer noch. Der Saal ist irritiert.
Das Stück geht zu Ende, mit dem letzten Ton nimmt der Solist das klingelnde Handy aus seiner Hosentasche und sagt „Sorry – I’m a Businessman.“
Und für die Menschen, die meinen Neue-Musik-Fetisch teilen:
Nach wie vor bin ich völlig geflasht von der „Sensor Augmentet Bass Clarinet – SABRE“. (Ja, das ist jetzt wirklich nerdy-Klarinettenquatsch – aber sauspannend.) Hört und staunt!
Netterweise wurde einer der Prototypen dieser Erfindung in einem Hotel in Madrid kackdreist gestohlen. (Dem Dieb würde ich gerne mal ordentlich an’s Schienbein treten. HA!).
Stichwort Bassklarinette: Wenn sich einige Größen der Neue-Musik-Bassklarinetten-Szene auf einer Bühne versammeln, dann klingt das manchmal auch so.
Meisterkurs des ehemaligen Soloklarinettisten der Berliner Philharmoniker. Er ist ca. 80 Jahre alt, berühmt für seine drohenden Gesten, seinen erhobenen Zeigefinger und sein etwas …schwieriges Englisch.
Mit 30 Minuten Verspätung kommt er in den überfüllten Saal – laut schimpfend. Statt mit dem Unterricht zu beginnen, baut er weiterhin schimpfend seinen CD-Stand auf der Bühne auf und hält eine kurze Verkaufsveranstaltung ab, die dem Charme von diversen Homeshopping-Kanälen in Nichts nachsteht.
Nach weiteren 20 Minuten holt er die erste Studentin auf die Bühne – eine Spanierin. Er reicht ihr mürrisch die Hand, sie gibt ihm plötzlich Küsschen-Küsschen.
Er wird verlegen, schaut irritiert und errötend ins Publikum und sagt: „Now se Mästerklass is ova.“
Dieser ältere Herr bescherte mir allerdings auch den zauberhaftesten und berührendsten Moment des Festivals:
Im voll besetzten Konzertsaal gab er ein Recital, in dem seine fortschreitende Gebrechlichkeit auf musikalische Brillanz und Willen zur Gestaltung traf. Als Zugabe spielte er ein unglaublich berührendes „Ave Maria“, bei dem ihm nun selbst auf der Bühne die Tränen kamen (Ja genau, dem Mann, der kürzlich noch alles und jeden erst mal ordentlich angepöbelt hatte). Nach dem letzten Ton herrschte 5 Minuten (sic!) völlig andächtige Stille im Saal. (Zum Glück war es dunkel genug, sodass ich in Ruhe ein paar Tränchen vergießen konnte… ooooh….)
Achja – bevor ich es vergesse:
Mein Besuch auf dem ClarinetFest Madrid wurde von der Oma-und-Opa-Foundation sowie der Stiftung „Muddi und Vaddi“ ermöglicht. Danke!
….Gern geschehen! Und es freut mich außerordentlich, dass du es an dieser Stelle erwähnst :-))
„Muddi“