Matthäus-Makeover

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I'll be Bach

Was haben wir nicht gelitten vor Ostern. Die Passionszeit zwang uns alle in die Knie. Nicht einmal getanzt werden durfte an Karfreitag! Keine Spur vom stillen Feiertag hingegen in Kirchen und Konzerthäusern: die Passionsmusiken Johann Sebastian Bachs sind der Dauerbrenner der Vorosterzeit und werden in jedem Jahr vielerorts zur Aufführung gebracht. Um nun wenigstens das musikalisch untermalte Leiden etwas humaner zu gestalten, täte dabei gerade der Matthäus-Passion eine gründliche Verjüngungskur gut. Also, liebe Konzertveranstalter: einfach mal an ein paar Parametern schrauben, dann wird das auch was mit dem jungen Publikum. Hier einige Anregungen, damit eure Aufführung zum generationenübergreifenden Jahrhundertevent wird:

1. Dauer

Drei oder gar vier Stunden? Seriously? Viel zu lang! Da muss mindestens die Hälfte weg. Wiederholungen braucht kein Mensch. Alle Choräle raus. Die Rezitative: wahlweise gelesen von Jan Josef Liefers oder gerappt von Fler. Je nach Ergebnis der vorangegangenen Abstimmung, die entweder online, über die offizielle App oder per SMS erfolgen kann.

Werbejingles während des Konzerts verschaffen zudem Auflockerung ebenso wie bares Geld und können ganz einfach zwischen den Stücken von den Interpreten intoniert werden – aus den Chorreihen ertönt ein fröhliches “Carglass repariert, Carglass tauscht aus”, Orchester und Solisten geben etwa “C’est bon, c’est bon, Géramont, Géramont” oder “Merci dass es dich gibt” zum Besten. Als vielversprechender Sponsor dürfte sich überdies Spotify erweisen, dessen Premium-Werbung den Konzertsaal alle paar Nummern beschallt (bevorzugt nach langsamen Sätzen).

2. Aufmachung

Nur Musik hören, obendrein länger als drei Minuten am Stück – wer will das schon? Wir empfehlen daher begleitende Videoprojektionen auf großer Leinwand. Dafür prädestiniert wären vor allem:

“Die Passion Christi“. Dazu wahlweise als Begleitveranstaltung: Mel Gibson liest die schönsten antisemitischen Texte aus fünf Jahrhunderten.

– Noch einmal die letzte “Wetten, dass…?”-Sendung – der Schlussakt des langen Leidenswegs des Markus Lanz, dem Jesus unter den Moderatoren. Der Pietät halber bitte in schwarzweiß. Die Projektion muss so mit der Musik synchronisiert werden, dass genau nach Lanz’ letzten Worten Abmoderation der Abschlusschor “Wir setzen uns mit Tränen nieder” erklingt.

 

3. Interpreten

Gleich zwei Orchester und Chöre verlangt der gute alte JSB. Wir sagen: wenn schon, denn schon – Berliner gegen Wiener Philharmoniker! John Eliot Gardiner und Roger Norrington dirigieren im großen Jahrhundertkampf: wer früher fertig ist, gewinnt. Weil es bis hierher allerdings schon ziemlich teuer wird, sollten die Orchesterspieler auch den Chorpart übernehmen. Das ist nicht zu viel verlangt, und wer bläst, darf natürlich aussetzen.

Statt angestaubter Orgelbegleitung empfehlen wir die zeitgemäße Interpretation des Generalbasses durch Lang Lang am Konzertflügel. Außerdem: David Guetta Garrett übernimmt die Sologeige in der „Erbarme dich“-Arie.

 

4. Werbung

Hier ist es essentiell, keine Kosten und Mühen zu scheuen. Insbesondere zu empfehlen sind:

Plakate:

Eigentlich ein altmodisches Werbemittel, aber durchaus für die Ü70-Fraktion relevant, die noch auf Litfaßsäulen achtet. Als Faustregel für die Schriftgrößen gilt wie üblich: die Namen der Starinterpreten müssen mindestens viermal so groß auf dem Plakat prangen wie die Namen von Werk und Komponist.

Fernsehen:

Eigentlich auch altmodisch, dennoch umfangreiche Kampagne mit Lothar Matthäus. Wortspiele mit Namen gehen immer.

In diesem Rahmen können im Vorfeld zudem VIP-Tickets fürs Konzert gewonnen werden, die richtige Beantwortung der Gewinnspielfrage vorausgesetzt:

Welcher Musiker brachte die Matthäus-Passion 1829, hundert Jahre nach ihrer Uraufführung, erstmals einem breiteren Publikum näher?

A) Felix Mendelssohn Bartholdy

B) Johannes Heesters

Internet:

Bekanntermaßen das Medium der Zukunft, vor allem Youporn* Youtube. Die Stars der Aufführung sollten also nicht versäumen, einige Tage vor dem Konzert ein “Haul“-Video zu veröffentlichen, in dem sie eine dm-Tüte mit Pflege- und Beautyprodukten auspacken, die sie am Abend der Aufführung verwenden werden. Pünktlich zum Konzert gibt’s noch ein “Outfit of the Day“ im feinen Zwirn und ein “Follow Me Around“ auf dem Weg zum Veranstaltungsort, natürlich mit Starbucks-Becher.

Ähnlich effektiv wäre freilich eine Kooperation mit heftig.co. Als potentielle Artikelüberschriften böten sich etwa an:

Was dieser Wanderprediger für unsere Sünden tat, ist unglaublich. Am Ende wirst du weinen.

Erst dachten wir, zwei Chöre im Eröffnungschor wären schon genug. Doch was in Takt 30 passiert, wird dir den Atem rauben.

Jesus hatte 12 Follower. Doch seine Nr. 1 versagte ihm drei Retweets.

 

Nun kann nicht mehr viel schiefgehen. Probieren Sie es aus und tauschen Sie Stilempfinden und Anstand gegenüber dem Werk gegen Geld und Breitenwirkung! Es tut überhaupt nicht weh, und wenn man es einmal gemacht hat, will man nie mehr darauf verzichten. Wir wünschen viel Erfolg!

 

*Mit seinem Artikel zu diesem Thema hatte bereits Philipp alle Hände voll zu tun.

Sebastian Herold

Studiert Musikwissenschaft (M.A.) in Mainz. Würde nur promovieren, um seine Mitmenschen dann stets mit gönnerhafter Miene aufzufordern, sie mögen "den Doktor doch weglassen".

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