Klassische Jugendkultur

Dein Vater hört Deep Purple, deine Mutter lauscht Taylor Swift‘s Countrypop. Du rauchst zwar Zigaretten ohne Filter, aber Papa hat in den 70ern regelmäßig gekifft. Mama reiste als Studentin durch die USA und hat dort die Stones live gesehen. Beide haben Karten für die nächste Deutschlandtour von Beyonce.

„Ja, töfte! Mach den Song mal lauter“, hörst du von deinen Eltern, wenn ihr zusammen Auto fahrt.

Uncool: Du magst die selben Dinge wie deine Eltern.

Jugendkultur

Willkommen in der Hochkultur!

Wir sind eine kleine Bewegung, die es zwar schon länger gibt, aber nie Mainstream wurde. Wir haben Helden und Antihelden und Adorno ist irgendwie beides. Du weißt nicht, wer das ist? Super, deine Eltern auch nicht, also schnell googeln.

Die dreckigen Spelunken haben wir abgeschafft: sowas von 80er Jahre Punk und den feierte schon dein dicker Onkel Diether. Wein ist unser Dosenbier. Lederjacken sind heute so rebellisch wie Ed-Hardy-Mützen, also lass das alte Ding einfach im Schrank deiner Eltern hängen.

Besorg dir einen Anzug; gibt’s heute überall günstig zu erstehen. Wenn du magst, kleb dir einen Sticker rein, um ihn aufzulockern. Irgendwas fetziges: Mahler grooves, Bierhoven, Cannabich legalizieren, oder so.

Dann ab ins nächste Theater!

Die gibt’s hier in Deutschland an jeder Ecke und als Jugendlicher kommt man günstig am Türsteher vorbei. Aber Vorsicht: Oberflächlich wirst du nicht viel erleben. Keine Kiss-Cam, kein Stage-Diving, keiner wird wild abtanzen.

Das darfst du scheiße finden, ist ja schließlich Jugendkultur. Da muss man Etabliertes scheiße finden. Dafür dreht sich hier mal wirklich alles um Musik. Bei vielen Festivals geht’s ja mehr um den Zeltplatz als um das Line-Up. Klatsch im Konzert einfach, wann du Bock hast, be a rebel!

Ja, richtig gehört: Hier kann man noch rebellieren und genau das wolltest du ja.

Talk-Themen

Damit die Musik beim nächsten Sinfoniekonzert nicht wieder einfach an dir vorbei zieht, hör dir das Stück vorher mal an! Alles, was du brauchst, sind gute Kopfhörer und ein „Abspielgerät“. Handy haste eh zur Hand – gemütlicher ist aber eine Stereoanlage. Jetzt bist du gerüstet: Du kennst Leute, Orte und Themen, über die du (nur) mit anderen Vertretern deiner Subkultur diskutieren kannst.

Diskussionsthemen zum Einstieg: Warum ist das Konzert eigentlich so spießig? – War früher nicht so! Ist Adorno jetzt Batman oder der Joker? Neue Musik oder doch lieber Beethoven? Ist Perfektion wirklich erstrebenswert?

Jetzt brauchst du noch ein Idol, an das du nichts ran lässt (am besten einen Komponisten, den wenige kennen und der am besten tot ist) und dessen Unantastbarkeit du auch mal mit der Faust diskutierst.

Fertig. Alle Prüfungen der Jugendkultur erfolgreich bestanden.

Ach halt, der Rausch fehlt noch.

Gibt offiziell nie jemand zu, aber: Einfach in eine dieser – scheinbar spießigen – Jugendvereine eintreten, von denen du eigentlich dachtest, dass sie aus Langweilern bestehen: Aus dem verklemmten Chormädchen oder dem stillen Schwarzhaarigen mit der kleinen Flöte im Jugendorchester. Falsch gedacht. Frag sie mal, was sie während der letzten Orchesterfahrt oder nach der Chorprobe so gemacht haben.

»Probe war anstrengend, mussten viel üben. Danach? Hmm… keine Ahnung, war besoffen – aber war geil.«, wird eine häufige Antwort sein.

Work hard, play hard.

In der Nacht vor seinem Debüt mit den New Yorker Philharmonikern war Leonard Bernstein bis 4 Uhr nachts feiern. Von Lenny lernen heißt Leben lernen.

Aber pssst: Wenn sich das rumspricht, wird’s zu einer Massenveranstaltung.

Holger Kurtz

hat auf Anliegen seiner Eltern ("Mach doch besser was solides, Junge") von BWL zu Musikmanagement an der Universität des Saarlandes gewechselt. Dort hat er nach 323 Kaffees seinen Bachelor of Arts bestanden und studiert nun Musik- und Kulturmanagement (M.A.) in München. Mit seinen biblischen 24 Jahren hat er bereits alles erlebt und kennt das Internet noch aus der Zeit, als es noch schwarz-weiss war. Hört leidenschaftlich gerne Blues und ernste Musik. Die nmz wurde auf ihn aufmerksam, als er die nmz auf Twitte verbrannte und brennt selbst für Musikvermittlung. "Journalismus ist meine Kippe, aber Musik mein Nikotin." Peace I'm out.

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.