Frankfurter Musikpreis 2017: Vergeigt.

Glückwunsch, David Garrett, zum Gewinn des Frankfurter Musikpreises und damit zur Einreihung in eine Kette von vielen wunderbaren Künstlern wie Holliger, Reimann, Zender, von Otter, Fischer-Dieskau, und auch Chick Corea, Lindenberg, Gabriel.
Kann er nichts dafür, dieses Mal haben es andere vergeigt.

Ich habe ein persönliches Verhältnis zum schönen Herrn G. und seinem wilden Gefiedel: Ich bin aufs Engste blutsverwandt mit einem Hardcore-David-Garrett-Fan. Leider hielten sich in meiner Jugend meine sportlichen Leistungen stark in Grenzen. Was dazu führte, dass ich meistens die letzte auf dem Baum war, wenn wieder jemand dran glauben durfte und besagten Fan zum Konzert begleiten musste. So erlebte ich diverse crazy Crossover-Shows mit kreischenden Milfs und tatsächlich auch mindestens ein mittelmäßiges Bruch-Violinkonzert mit dem langhaarigen Schönling als Solisten.

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Die Crossover-Programme begeistern sicherlich viele Menschen. Es gibt ein Publikum für diese Shows. David Garrett hat seine Marktlücke gefunden, nachdem das Etikett “Wunderkind” durch Pubertät und offensichtlicher Überbietung seiner Leistungen (sogar beim Hummelflug-Weltrekord) ungültig wurde. Er ist Unternehmer in meinen Augen, inklusive großartig geglückter Selbstvermarktung, charmanten eigenen Moderationen und Bad-Boy-Image in Perfektion – einer dieser “Klassik-Rockstars”, wie Nigel Kennedy (der nur weniger gesellschaftstauglich scheint) und Cameron Carpenter mit seiner abgefahrenen Tour-Orgel – oder für meine Oma: André Rieu.

Dafür einen Preis zu verleihen – ok. Wäre nachvollziehbar. Das Kuratorium der Stiftung “Frankfurter Musikpreis” begründete allerdings seine Entscheidung so:

“Das Kuratorium des Frankfurter Musikpreises lobt David Garrett als Künstler, dem es gelingt, durch seine Crossover-Projekte zahllose Menschen an die klassische Musik heranzuführen und gleichzeitig die Neugier für klassische Musik mit seinen Kammermusikabenden und Orchesterkonzerten zu wecken. Hierbei hebt es in seiner Begründung Garretts Anliegen hervor, durch reine Klassik-Projekte die persönliche Verwurzelung in der klassischen Musik auf internationalem Spitzenniveau zu dokumentieren.”

Da haben wir den Salat. Und ich mein Problem:

Ist es tatsächlich Heranführen an klassische Musik, wenn man Popsongs auf klassischen Orchesterinstrumenten spielt / begleitet?
Demnach müsste quasi jeder zweite MTV-Unplugged-Künstler als Vermittler gelten! Das behauptet aber wirklich kein Mensch. Vermitteln Orchester, die Pop spielen, dann eigentlich auch diese Musik an das Klassikpublikum?

“…und gleichzeitig die Neugier für klassische Musik mit seinen Kammermusikabenden und Orchesterkonzerten zu wecken.”


Ja, manchmal kaufen die Crossover-Fans sicherlich auch Karten für Garretts “Ich will ernst genommen werden”-Konzerte als “seriöser” Solist ohne Lasershow und Rauchmaschine. Es ist kein Geheimnis, dass der gute Mann in dieser mysteriösen Klassikszene nicht ganz für voll genommen wird. Da ist der Publikumsandrang also gewiss beschränkt. Ich bin die Erste, die sich freut, wenn Kartenkäufe von D. G.-Groupies keine Versehen sind, Image-Blendungen oder dem Personenkult geschuldet, sondern Ausdruck von Neugier.

Im Pro Arte-Konzert mit David Garrett und besagtem Violinkonzert von Bruch saß ich hingegen umringt von Zuhörern, die bis zur letzten Minute halblaut hofften, dass er ENDLICH noch das “Fluch der Karibik”-Medley spielen würde. Und dann mit sehr enttäuschten Gesichtern geknickt und grummelnd abzogen. (Nicht ohne wegen des Klatschens zwischen den Sätzen fast von den Pro Arte-Abonnenten verprügelt worden zu sein. Aber anderes Thema.) Das war’s dann wohl mit deren Karriere als Klassikhörer, mutmaße ich.

“Hierbei hebt es in seiner Begründung Garretts Anliegen hervor, durch reine Klassik-Projekte die persönliche Verwurzelung in der klassischen Musik auf internationalem Spitzenniveau zu dokumentieren.”

Ich übersetze frei: “Hierbei hebt es in seiner Begründung Garretts Kampf gegen seine Komplexe hervor, nicht mehr als Spitzensolist auf internationaler Ebene in der klassischen Musik wahrgenommen zu werden, sondern nur noch als Crossover-Kasper, Thomas Sabo-Schmuckdesigner und gescheiterter Paganini-Darsteller an der Seite von Veronica Ferres.” Die Exfreundin-Skandale lassen wir mal beiseite.

Fazit: Na, über diese Entscheidung und deren Begründung hätte man besser noch eine Nacht mehr schlafen sollen.

Im Kuratorium des Preises sitzen übrigens auch zwei Repräsentanten von deutschen Musikhochschulen. Ja, auch in diesen Reihen gibt es offensichtlich eine David Garrett – Fangemeinde, wie etwa die Hochschule für Musik Saar unter Beweis stellte. (Spoiler: Nein, Garrett sollte auch hier keine Marketing-Professur bekommen. Die Sache hatte ein Happyend für die Studierenden.)

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5 Antworten

  1. Manfred Aloof sagt:

    Führt immernoch mehr Leute an die Klassik ran als die Elbphilharmonie. Der Michel kommt grad vom Bau und denkt sich „boah geil, jetzt in diesem imposanten Gebäude ein Klassikkonzert, hoffentlich nur Modernes“? Für das Geld könnte der Herr G. hundert mal die Treppe mit der Stradivari runterfliegen.
    Der Maschmeyer hingegen ist bestimmt ganz schön pissig…

    • Juana Zimmermann sagt:

      Und ich gehe jedes Wochenende am Stadion in Hannover vorbei und frage mich, wieviele Elbphilharmonien man bauen könnte von dem Geld, das man jede Saison nur für die Polizei ausgibt, die hier jedes Wochenende anrücken muss.

      Was ich sagen möchte: Unsere Gesellschaft ist zum Glück bunt und vielfältig. Deshalb gibt es auch unterschiedliche Interessen, Hobbys, Berufe und Freizeitaktivitäten. Dafür braucht es unterschiedlichste Räume, Flächen, Künstler und Orte. Nichts davon ist mehr oder minder wichtig oder wertvoll. Wichtig ist, dass Michel dem nachgehen kann, wenn er es möchte und die Freiheit hat, es zu mögen und es doof zu finden.

      [Übrigens geht es in dem Artikel gar nicht darum, ob es legitim ist, was Herr G. macht oder ob das eines Preises wert ist, sondern nur um die Begründung des Kuratoriums des Preises.]

      • Manfred Aloof sagt:

        Nur dass eine Form der Unterhaltung leider wesentlich wackeliger auf eigenen Beinen steht als die andere.
        Ich dachte Ihre Auffassung von Preisverleihungen entspricht etwa der meinigen; 99% sind nunmal unnötige Politik und gehören eh nicht ernstgenommen? Glückwunsch nochmal an Herrn Anis Ferchichi für den Bambi.
        Ich halte Frau Wickert für smart genug auch mal etwas konstruktives vorzuschlagen, statt mit einem verschmitzten Grinsen große Themen aus der befangenen Sicht einer „Klassik-Insiderin“ zu kommentieren.
        Außerdem hätte Michel nie vom Frankfurter Musikpreis erfahren, wenn seine Frau nicht vom Teufelsgeiger verzaubert worden wäre.

        • Juana Zimmermann sagt:

          Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich nicht mehr erinnere, aber wann und wo unterhielten wir beide uns über Preise und deren Relevanz? (Ist Aloof ein Pseudonym oder der echte Name?)

  1. 22. März 2017

    […] zur Vergabe des Frankfurter Musikpreises an David Garrett bei Musik mit allem und viel scharf Mmauvs: Frankfurter Musikpreis 2017: Vergeigt. Mmauvs: Der Umgang mit David Garrett: Ein […]

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