Gönnt Big B eine Pause

Ludwig van Beethoven hat fantastische Stücke geschrieben. Es bringt Spaß ihn zu spielen und zu hören, man kann nachdenklich werden, ermuntert oder sogar weinen. Der 4. Satz seiner 9. Sinfonie – das Rausschmeißerstück bei der Eröffnung der Elbphilharmonie und fester Programmpunkt bei sehr, sehr wichtigen politischen Ereignissen – ist ein Evergreen. Warum und wie geil seine Stücke sind, haben andere schon oft genug geschrieben. Ich möchte nur sagen: Ich habe keinen Bock mehr. Ich kann es nicht mehr hören. Beethoven Sinfonien, Sonaten, Konzerte, Fantasien, Quartette, Quintette, Drölftette usw. usf. bla. – Immer und immer wieder. Wir eröffnen ein Rathaus in Schnarup-Thumby: Beethovens 9., Abschlussstück beim Akkordeonfest: Beethovens 7. (ohne Akkordeon), Sarah und Pietro Lombardi trennen sich: Für Elise, Mercedes-Werbung: Mondscheinsonate. Beethoven hier, Beethoven da. Nicht einmal Wacken kommt ohne Beethoven aus.  Ich kotze. Natürlich ist Beethovens Musik geil. Aber das ist so wie mit Lieblingsessen: Pizza kann man den ganzen Tag und zu jeder Uhrzeit essen. Theoretisch. Aber wenn man es nur noch isst, dann kotzt man irgendwann davon. Außerdem wäre man nie auf die kulinarische Großartigkeit von Döner gekommen, wenn man nicht zwischendurch was anderes ausprobiert hätte.

Zudem ist dieser Mann 200 Jahre tot. Dieser Mensch dachte beim Schreiben an Frauen in zu langen BHs, an Döner ohne Fleisch und Brot und wo er neue Batterien für sein Hörrohr bekam. Doch ich habe Sorgen und Nöte, die Beethoven in seiner Musik einfach nicht bedacht hatte: Niemals kannte er die Verzweiflung, wenn der*die Angebetete die Nachricht gelesen hatte, aber einfach nicht antworten wollte. Wie es ist, mehrere Stunden in einem Funkloch zu sein oder den Tag ohne einen Soja-Latte-Macciato glutenfrei beginnen zu müssen. Da klafft eine Lücke in Empfindungen, die diese Musik nicht auffangen kann. – Meine heimliche These ist auch die, dass Big B deshalb so gern gehört wird, weil er nicht zu tief an der aktuellen Lage kratzt. Nach Feierabend nochmal die Probleme des Tages durchkauen, das tut nun mal auch nicht Not. 

Na klar, ich könnte Konzerte meiden, wenn Beethoven auf dem Programm steht. Aber das würde nicht reichen. Beethoven ist in Radio, TV, Supermarkt-Beschallung, Geburtstagen, Eröffnungen omnipräsent. Ich müsste damit in meinem Zimmerchen hocken und könnte nichtmal Facebookrastinieren. Außerdem möchte ich nicht weniger Kultur rezipieren, nur einfach mal andere. »Aber es gibt keine guten Alternativen!«, möchte nun manch einer einwerfen? Ich meine eben doch. Wir müssen uns nur mal auf was anderes einlassen. Wenn man in eine neue Beziehung geht und den*die neuen Parter*in immer nur mit dem*r Ex
vergleicht, wird das auch nichts.

Deshalb mein Vorschlag: GEBT BEETHOVEN EIN SABBATICAL!

Nicht für immer, nur für einen Zeitraum, vielleicht 10 Jahre. Ich möchte gar nicht der Welt eine bestimmte Musik aufzwängen, sondern nur eine Ermunterung zu anderen Komponisten und Komponistinnen anregen. Beethoven hatte auch Zeitgenossen und solche, die vor und nach ihm kamen. Eine Beethoven-Nicht-Quote quasi. Das wird vielleicht nicht einfach, denn Musik, die man gut kennt, hört sich so schön einfach und das Schunkeln und Klatschen auf der 1 und 3 ist doch jahrzehntelang eingeübt. Aber wie mit der neuen Freund*in, man muss ihm*r eine Chance geben. Nach ein paar Wochen hat man die seltsamen Gewohnheiten lieb gewonnen und entdeckt Seiten, die er*sie viel besser kann als der*die alte. Und nach 10 Jahren wird Beethoven dann umso geiler schmecken.

 

Juana Zimmermann

Tut heute dies, morgen jenes. Morgens schlafen, nachmittags Wissenschaft betreiben, abends schreiben, nach dem Essen kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Schläfer, Wissenschaftler, Autor oder Kritiker zu werden.

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6 Antworten

  1. Juana Zimmermann sagt:

    Guter Typ. Wo und wann hat er das gesagt? Kann man das nachlesen?

    Es liegt ja auch leider an dem Publikum. Abonnenten können gnadenlos sein.

  2. Albrecht sagt:

    Das hat schon Zagrosek mal vorgeschlagen: Beethoven zu ehren, indem man ihn ein Jahr lang überhaupt nicht spielt.
    Aber es geht ja auch immer ums selbe halbe Dutzend Stücke. Oder hat sich jemand schon an den Rasumofksyquartetten oder „A Therèse“ überhört?

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